Was die Musiktheater-Biennale bringt

Manos Tsangaris und Daniel Ott verabschieden sich mit elf Uraufführungen
von  Marco Frei
Daniel Ott und Manos Tsangaris (rechts) leiten ein letztes Mal die Münchner Musiktheater-Biennale.
Daniel Ott und Manos Tsangaris (rechts) leiten ein letztes Mal die Münchner Musiktheater-Biennale. © Manu Theobald

Wenn man sie um eine vorläufige persönliche Bilanz bittet, wird es anekdotisch. Nach ihrer offiziellen Ernennung als Leitungsduo der Münchener Biennale für neues Musiktheater hätten sie sich überall in der bayerischen Landeshauptstadt vorgestellt, darunter beim damaligen Staatsopern-Intendanten Nikolaus Bachler. "Zu zweit? Das wird nicht gehen!", soll dieser entgegnet haben. Heute sind Daniel Ott und Manos Tsangaris stolz darauf, dass sie als erstes Leitungsduo in der Biennale-Geschichte eigene Akzente gesetzt haben.

Auch sonst ziehen sie bei einem Pressegespräch eine positive Zwischenbilanz. Als städtisches Festival sei man "vergleichsweise nicht schlecht" ausgestattet. Ein Uraufführungs- und Nachwuchsfestival sei stets ein Risiko, und München leiste sich das. Trotzdem wurde im Budget über die Jahre und Jahrzehnte wiederholt gekürzt, und in Zeiten von Inflation und steigenden Kosten ist der wirtschaftliche Druck besonders hoch. "Budgets reichen nie aus", räumen Tsangaris und Ott ein, aber: Man habe erfolgreich Drittmittel akquirieren können.

Mobilität, Evolution, Transformation

Sie gegen sich betont gelassen, auch munter und vergnügt. Ob sie sich als Leitungsduo noch besser kennengelernt haben? "Wir sind methodisch insgesamt sehr unterschiedlich", formuliert es Tsangaris. Für ihn ist Ott ein "geborener Demokrat". Und Tsangaris? "Manos ist kein Autokrat, sondern manchmal etwas zielstrebiger", formuliert es Ott. In dieser Kombination haben sie für ihre letzte Biennale ein höchst ambitioniertes Programm zusammengestellt.

Unter dem Motto "On the way" werden vom 31. Mai bis zum 10. Juni insgesamt elf Uraufführungen gezeigt. Die Themen kreisen um Mobilität und Geldtransfers, Flucht und Migration, Evolution und Transformation. Von den elf Uraufführungen sind vier Koproduktionen mit Bühnenhäusern, weitere vier kleinere partizipative oder installatorische Projekte sowie drei Kollektiv-Arbeiten aus der Reihe "Neue Linien". Mit dieser Reihe wird bei der Biennale die internationale freie Szene unterstützt.

Ein reines Frauen-Team

Für den Startschuss am heutigen Freitag konnte Lucia Ronchetti gewonnen werden. Diese Eröffnungspremiere in der Muffathalle gibt sich so glanzvoll wie schon lange nicht mehr. Erst im April wurde in Schwetzingen die Oper "Der Doppelgänger" von Ronchetti nach Fjodor Dostojewski uraufgeführt. Das jetzige Koproduktion "Searching for Zenobia" mit dem Theater Braunschweig ist eine Überschreibung der Oper "Zenobia" von Tomaso Albinoni von 1694. Sie spielt in Syrien, wo seit 2011 ein Bürgerkrieg wütet.

"Searching for Zenobia" von Lucia Ronchetti.
"Searching for Zenobia" von Lucia Ronchetti. © Judith Buss

Ronchetti geht es um Vertreibung und Flucht, wobei die Italienerin auch mit einer Schauspielerin und einem Schlagzeuger aus Syrien arbeitet. Sonst aber agiert hier erstmals in der Biennale-Geschichte schöpferisch ein reines Frauen-Team: neben Ronchetti die Regisseurin Isabel Ostermann und die Dirigentin Susanne Blumenthal. Für "Shall I Built a Dam" der Japanerin Kai Kobayashi kooperiert die Biennale hingegen mit der Deutschen Oper Berlin (ab 1. Juni).

HAL spinnt schon wieder

Mit der inszenierenden Choreografin und Performerin Simone Aughterlony agiert eine Persönlichkeit, die bühnenästhetisch maßgeblich von Meg Stuart beeinflusst ist. Die Sängerin Noa Frenkel ist hingegen eine herausragende Interpretin des zeitgenössischen Musiktheaters. Es geht um fluide Seins-Zustände, metaphorisch verdichtet durch das Element Wasser. Mit dem Theater Basel tüftelt man wiederum das dreiteilige, installatorische Happening "Wie geht's, wie steht's" von Andreas Edoardo Frank und Patrick Frank aus der Schweiz aus. Hierfür wird das Foyer des alten, weiterhin auf seine Sanierung wartenden Gasteig reaktiviert (4. Juni).

Eine Probe für "Turn Turtle Turn" im Gasteig HP 8.
Eine Probe für "Turn Turtle Turn" im Gasteig HP 8. © Judith Buss

Für die letzte der vier großen Produktionen kooperiert man mit dem Staatstheater Kassel. In "Defekt" von Mithatcan Öcal aus Istanbul, einem Förderpreisträger der Ernst von Siemens Musikstiftung des Jahres 2019, verlassen Menschen mit einer Rakete die zerstörte Erde, was gründlich schiefgeht (ab 8. Juni) - auch wegen eines eigenwilligen Bordcomputers.

Neue Musik auf dem Partyschiff

Sonst aber eröffnen "Novoflot" aus Berlin mit der in New York lebenden Chinesin Du Yun auf dem Max-Joseph-Platz vor dem Nationaltheater ein Bahnhof der Zukunft ("The Gates are nearly open", ab 5. Juni). Die finnische Truppe Oblivia stürmt wiederum die Stadtbibliothek im Gasteig HP8 ("Turn Turtle Turn", ab 5. Juni), Nico Sauer lädt zu einer performativen Autofahrt durch das von Dauer-Baustellen verstopfte München ("Rüber", ab 1. Juni).

"Searching for Zenobia" von Lucia Ronchetti.
"Searching for Zenobia" von Lucia Ronchetti. © Judith Buss

Auch das Party-Schiff "Alte Utting" in Sendling wird bespielt. Bei "Territorios Duales" des Bolivianers Carlos Gutiérres mischt die Münchner Volkshochschule mit. Eine Projektgruppe hat indigene Instrumente aus Südamerika nachgebaut.

Eines steht bereits fest: Diese Biennale wird wieder ziemlich divers. Die nächste Ausgabe verantworten 2026 Katrin Beck und Manuela Kerer als neues Leitungsduo.

Verschiedene Spielstätten, 31. Mai bis 10. Juni. Infos und Karten unter muenchener-biennale.de

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