Von Striptease-Rock bis Tango: Eine neue Operette am Gärtnerplatz

München – Mit ihren dezent lila getönten, frisch spray-betonierten Haaren scheint Frau Täschner direkt vom Friseur zu kommen. Jeder kennt diesen Typ der gepflegten, reiferen Dame zwischen Matrone und Matriarchin, die sich in Gesellschaft mit dem alleserklärenden Satz "Hallo, ich bin die Mutter" vorstellt.
Hier, auf der Studiobühne des Gärtnerplatztheaters, ist es aber der Autor und Mitkomponist Thomas Pigor selbst, der sich vor der Uraufführung seiner Operette "Oh! Oh! Amelio!" in Rock und Bluse direkt ans Publikum wendet. In dem Stück, so die in vollendetem Unterfränkisch mit weichem "T" ausgesprochene "Drigger-Warnung" , gäbe es nicht nur irritierende Stroboskopeffekte (Licht: Peter Hörtner). Auch wären "teilweise blöde Witze" über Hetero- und Homosexuelle zu erwarten und würde die Religion im Allgemeinen und eine fiktiv osteuropäische im Besonderen durch den "Kaukau" gezogen. Und auch, wenn die Schauspieler gleich in unsympathischen Rollen zu sehen wären, versichert Pigor-Frau Täschner: Im wirklichen Leben wären sie gar nicht so.
Scheinheirat einer Lebedame
Offenbar ist ein solcher vorsorglicher Haftungsausschluss heute unumgänglich, wenn man vor einer frechen Komödie einem drohenden Shitstorm entgegenwirken will. Wenn man ihn aber macht, muss man ihn so machen.

Eigentlich wäre der Disclaimer dennoch unnötig gewesen. Denn diese freie Adaption der Farce "Occupe-toi d'Amélie" ("Kümmere dich um Amélie") des französischen Bühnenautors Georges Feydeau funktioniert so perfekt, dass man schon ausgesprochen ignorant sein muss, um sich über die erotischen Verwicklungen aufzuregen.
Eine stets vor der Privatinsolvenz stehende junge Lebedame kommt nur in den Genuss ihres Erbes, wenn sie in den Ehestand eintritt. Also heiratet sie zum Schein ihren schwulen Freund, den titelgebenden Travestiekünstler Amelio. Nach einer gemeinsam durchzechten Nacht kommt es zum Tabubruch: dem heterosexuellen Geschlechtsverkehr, worauf der eifersüchtige Verlobte Amelios (genuin komisch: Armin Kahl) aus Rache eine echte Hochzeit inszeniert: nach einem natürlich ausgedachten, dafür aber umso strengeren marzowinisch-orthodoxen Ritus.

In sich selbst spiegelnd
Diese klassischen Versatzstücke des Vaudeville-Theaters hat Thomas Pigor zu einem sich so intelligent wie unbekümmert in sich selbst spiegelnden Spiel aktualisiert. Wenn man auf der Bühne gerade nicht weiterweiß, stürmen glamouröse Revuegirls und -boys mit Hasenohren und Zylinder-Röcken herein und singen in Broadway-Manier: "Es geht um Unterhaltung" (Bühne und Kostüme: Karl Fehringer und Judith Leikauf). Christian Schleinzer als Amelio bekommt von der marzowinischen Erbtante (kunstvoll ordinär: Dagmar Hellberg) einen Revolver geschenkt und bedankt sich mit köstlich unsicherer Liebenswürdigkeit. Und Julia Sturzlbaum als erbwillige Marika kann bruchlos vom Chanson- und Disneysong-Stil in die virtuose Opernkoloratur schwenken und einen Triller solange auffordernd aushalten, bis ihr Champagner-Glas wieder vollgegossen ist.

Alle diese Possen, echt lustigen running gags (die gleichbleibend apathisch auf das permanente Türklingeln reagierende Laura Schneiderhan) und Dialogwunder ("Ich hab den besten Riecher von Nordrhein-Westfalen" singt die Agentin Frances Lucey) sind von Gabi Rothmüller mit nie nachlassendem Tempo inszeniert und von Thomas Pigor und dem anderen Komponisten Konrad Koselleck gekonnt mit Musik versehen worden: Genres von Striptease-Rock über den Tango bis hin zum fremdartigen, echt-falschen liturgischen Gesang des ohrenzersetzend intonierenden Allroundtalents Peter Neustifter zitierend; nie melodisch ganz neu, aber immer raffiniert gearbeitet.
In einer Szene wird der macht- und auch ansonsten geile Filmproduzent (hinreißend sabbernd: Alexander Franzen) zum Telefonieren in den Garten geschickt und stolpert über die dort postierten Musikerinnen und Musiker. Frau Täschner erklärt ihm in absurder Selbstverständlichkeit: "Ach, das ist nur das Orchester". Hier irrt Autor Pigor, ein einziges Mal: Es sind das fabelhafte Gärtnerplatzorchester und der vom Klavier aus dirigierende Andreas Partilla, die mit Lust, Laune und Stilbewusstsein diese wirklich lustige Farce zum Wirbeln bringen.
Wieder am 13., 15., 16., und 19. Juli sowie im Oktober, jeweils 19.30 Uhr im Gärtnerplatztheater (Studiobühne), Restkarten online und unter Telefon (089) 2185 1960