Von der Lust des Werdens
Peter Sloterdijk und Jörg Widmann über ihre Oper „Babylon” im Nationaltheater
Nach mehr als einer Musiktheaterbiennale dachten wir eigentlich, neue Opern würden vor allem an Ideengeschwurbel kranken. Meisterdenker Peter Sloterdijk belehrte uns gestern eines Besseren: Die meisten modernen Opern seien nichts anderes als ein vertonter „Tatort”, mindestens aber ein literarischer Unglücksfall.
„Die großartigste Musik hat immer im Dienst der fragwürdigsten Textbücher gestanden”, sagte er bei der Pressekonferenz der Staatsoper, zu der eine Sitzgruppe nach der Art des „Philosophischen Quartetts aufgestellt wurde.
Vielleicht hat sich Sloterdijk nur im Jahrhundert geirrt. Er wird nun Hofmannsthal, Lorenzo da Ponte und Emanuel Schikaneder zeigen, wo der Griffel steckt. Komponist Jörg Widmann hat ihn in langen Gesprächen auf der Terrasse des Salzburger Hotels Stein überredet, für ihn zu dichten. Am Samstag nächster Woche wird die gemeinsam Oper „Babylon” von Kent Nagano im Nationaltheater uraufgeführt.
Wenn Sie dies am Dienstag zum Frühstück lesen, ringt Widmann gerade mit dem Übergang zum Schlussakkord. Er müsse in wenigen Takten die Musik von einem Tutti-Höhepunkt auf Null bringen. „Das ist viel schwerer zu schreiben als eine Steigerung”, sagte Widmann. „Dieses letzte Herunterkommen zerreißt mich fast.” Am Dienstagnachmittag will er fertig sein – immer noch früher als Gioachino Rossini, der erst in der Nacht vor der Premiere seinen „Barbier von Sevilla” vollendet haben soll.
Die Wünsche des Komponisten seien bisweilen ungewöhnlich gewesen, so Sloterdijk. Einmal habe Widmann ihn aufgefordert, sich ein paar Zeilen mehr über weibliche Genitalien auszudenken. Er habe wunschgemäß einen „Vagina-Monolog” geschrieben, einen „Hymnus auf das weibliche Genital”. Nach Sloterdijks Szenenanweisung soll dies jedoch nicht obszön, sondern „feierlich” realisiert werden, als „erotisches Mysterium der Fortpflanzung”.
Die Regie hat Carlus Padrissa von der katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus. Auch im Orchestergraben wird es lustig zugehen. Kent Nagano berichtete von Anweisungen des Komponisten, „nicht zu sauber” zu musizieren. „Wir haben die Partitur sehr gestochen und perfekt interpretiert”, sagte der Dirigent. „Widmann forderte uns aber auf, dass es falsch klingen soll. So etwas habe ich zum ersten Mal gehört.”
Premiere am 27.10., 10 Uhr Infos zu Karten Tel. 21 85 19 20