Interview

Vladimir Jurowski über "Die Passagierin"

Der Dirigent über die Premiere der Oper vom Mieczysław Weinberg und seinen noch nicht verlängerten Vertrag an der Bayerischen Staatsoper
von  Robert Braunmüller
Vladimir Jurowski wurde 1971 in Moskau geboren. Er studierte erst in seiner Geburtsstadt, dann in Berlin und Dresden. Er war Kapellmeister an der Komischen Oper Berlin und Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra. Seit 2021 ist er Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper.
Vladimir Jurowski wurde 1971 in Moskau geboren. Er studierte erst in seiner Geburtsstadt, dann in Berlin und Dresden. Er war Kapellmeister an der Komischen Oper Berlin und Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra. Seit 2021 ist er Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. © Robert Niemeyer

Ein Überseedampfer, Ende der 1950er Jahre: Die Gattin eines deutschen Diplomaten hat ihrem Mann verschwiegen, dass sie Aufseherin im KZ Auschwitz war. In einer Passagierin glaubt sie, einen Häftling wiederzukennen. Diese Geschichte erzählt die Oper "Die Passagierin" von Mieczysław Weinberg. Sie entstand 1968 in der Sowjetunion und wurde szenisch erst 2010 bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführt. Vladimir Jurowski dirigiert die Oper im Nationaltheater.

AZ: Herr Jurowski, diese Oper bringt Auschwitz mit singenden Häftlingen auf die Bühne. Verstehen Sie es, wenn man damit Probleme hat?

VLADIMIR JUROWSKI: Ja. Lassen Sie mich zweifach antworten: historisch und persönlich. "Die Passagierin" ist die erste Oper über dieses schwierige Thema. Mieczysław Weinberg hat das Recht des Pioniers, Fehler zu machen. Außerdem hat er seine persönliche Geschichte verarbeitet: Er war ein vielfach traumatisierter Mensch. Seine Familie wurde von den Nazis ermordet. Stalin hat seinen Schwiegervater, den russisch-jüdischen Solomon Michoels, 1948 durch einen inszenierten Verkehrsunfall umbringen lassen. Weinberg selbst überlebte die antisemitische Säuberung kurz vor Stalins Tod nur knapp - er war in Haft und wurde beschuldigt, eine jüdische Republik auf der Krim gründen zu wollen.

Und Ihre persönliche Antwort?

Ich teile die Ansicht, dass Auschwitz nicht darstellbar ist. Auch meine Verwandten wurden von deutschen Nazis verschleppt und in Lagern ermordet. Aber ich möchte das Thema behandeln und die Menschen zum Nachdenken bewegen, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Dafür brauche ich aber kein opernhaftes KZ auf der Bühne.

Elena Tsallagova und Charles Workman in "Die Passagierin".
Elena Tsallagova und Charles Workman in "Die Passagierin". © Wilfried Hösl

Es ist außerdem ein Auschwitz fast ohne Shoah.

Das hat mit der Vorlage zu tun: dem autobiografischen Roman von Zofia Posmysz, die in einem Teil des Lagers inhaftiert war, in dem keine Juden waren. Der Librettist Alexander Medwedew hat den Stoff in bester Absicht weiter verschlimmbessert, wohl um die Aufführung am Bolschoi-Theater möglich zu machen. Als ehemaliger Sowjetmensch erkenne ich die Propaganda vor allem in der Figur der Partisanin Katja. Das hätte mich fast davon abgehalten, die Oper zu dirigieren.

Daher also die vielen Striche.

Es schien mir die einzige Lösung zu sein, uns dem Stück zu nähern. Wir haben die Oper der gerafften Struktur von Alban Bergs "Wozzeck" angenähert. Ich mag mich irren, aber meiner Meinung tut man der "Passagierin" einen Gefallen, wenn man das Holzschnittartige entfernt.

Warum wurde die Oper 1968 nicht uraufgeführt?

Nach dem Ende des Prager Frühlings durch russische Panzer endete eine kulturpolitisch vergleichsweise liberale Ära. Danach dauerte es noch einmal 40 Jahre, bis die in russischer Sprache komponierte Oper 2010 in Bregenz in einer mehrsprachigen Version uraufgeführt wurde. Auch unsere Fassung ist mehrsprachig, und die Deutschen singen auf deutsch. Aber man kann den Chor - die Stimme des Gewissens - und die Polin Marta nicht russisch singen lassen. Das haben wir geändert.

Larissa Diadkova in "Die Passagierin".
Larissa Diadkova in "Die Passagierin". © Wilfried Hösl

Wie muss man sich die Musik vorstellen?

Weinberg wurde 1919 in Warschau geboren. Er kommt aus der polnischen und jüdischen Musikkultur. In seiner Jugend hat er - wie Dmitri Schostakowitsch - Stummfilme am Klavier begleitet. Nach dem deutschen Überfall auf Polen floh er 1939 in die Sowjetunion. Im Konservatorium von Minsk studierte er bei einem der letzten Schüler von Nikolai Rimski-Korsakow. Weinberg verbindet also mehrere Richtungen: die leichte Muse Polens und die spätromantische Schule Russlands. Später kam noch der Einfluss seines Freundes Schostakowitsch hinzu.

Das hört man bisweilen recht deutlich.

Diesen Aspekt seiner Musik finde ich am wenigsten interessant. Authentisch ist seine Mischung aus Tonalität und Atonalität - etwa in der Arie der Marta im zweiten Akt, der Vertonung eines Gedichts von Sandor Petöfi. Es beginnt wie Chopin und endet im 20. Jahrhundert. Außerdem höre ich Einflüsse von Benjamin Britten und von Alban Bergs "Wozzeck", mit dem die Wiener Staatsoper damals in Moskau gastierte. Ein anderer Aspekt ist seine Polystilistik, die barocke Formen mit Zwölftönigkeit verbindet. In dieser Hinsicht nimmt er vieles vorweg, was Alfred Schnittke später komponierte - etwa in der Art und Weise, wie Bachs Chaconne verarbeitet wird.

Sophie Koch in "Die Passagierin".
Sophie Koch in "Die Passagierin". © Wilfried Hösl

Wann haben Sie Weinbergs Musik zum ersten Mal gehört?

Ich bin mit Weinbergs Musik zu zwei grandiosen russischen Trickfilmen für Kinder groß geworden: "Die Ferien des Bonifazius", ein Film, über den Urlaub eines Zirkuslöwen in Afrika und die russische Version von "Winnie the Pooh".

Kunstminister Markus Blume hat Josef E. Köpplinger am Gärtnerplatztheater erst kürzlich bis 2030 verlängert. Wie steht es um die Verlängerung des 2026 auslaufenden Vertrags?

Das weiß ich auch nicht. Es ist eine Entscheidung des Ministeriums. Unsere Sache ist es, weiter zu planen - auch über den Zeitraum des Vertrags hinaus.

Vladimir Jurowski (li.) mit Serge Dorny, dem Intendanten der Bayerischen Staatsoper.
Vladimir Jurowski (li.) mit Serge Dorny, dem Intendanten der Bayerischen Staatsoper. © Lino Mirgeler (dpa)

Es gibt Kritik, Sie seien zu wenig präsent.

Das stimmt nicht. Ich dirigiere Repertoire, Konzerte und Tourneen. Dass ich die Position beim Rundfunk-Sinfonieorchester in Berlin beibehalte, war bekannt. Wenn ein Chef zu oft da ist, kann das auch Überdruss erzeugen. Nebenbei gesagt: Ich hätte "Pique Dame" übernehmen können. Aber die Proben hätten sich zu sehr mit denen für die "Passagierin" und für die "Fledermaus" überschnitten. Und mir geht es um Qualität, nicht um Quantität.

Premiere am Sonntag, 10. März um 18 Uhr im Nationaltheater, Restkarten. Hörfunk-Übertragung auf BR Klassik

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