Uraufführungen von David Fennessy und Simon Steen-Andersen

Was ist die bekannteste Anekdote über die Dreharbeiten zu „Fitzcarraldo“? Fast alle Befragten haben die gleiche Anekdote in Erinnerung: Ein Indianer soll dem Regisseur Werner Herzog angeboten haben, den zu Wutausbrüchen neigenden Hauptdarsteller Klaus Kinski umzubringen.
Giuseppe Verdi hätte nur wegen dieser einen Szene Herzogs Tagebuch „Eroberung des Nutzlosen vertont. Aber David Fennessy ist kein Verdi, sondern ein postdramatischer Gegenwartskomponist. Die Konfrontation der beiden Groß-Egos interessiert ihn nicht. Das wäre Theater der alten Schule. Und die Dampfer-Bergfahrt entfällt aus diesem Grund in seiner Oper „Sweat of the Sun“ auch.
Fennessy versteht Herzogs Tagebuch als Wortsteinbruch. Er liest ein paar Begriffe und Laute auf, die er auch in jedem anderen Text gefunden hätte. Wir sollen erleben, was sich im Kopf des Filmregisseurs abspielt. Eine Traumlogik also: die billigste aller Ausreden für künstlerische Unschärfe und halbgar Gedachtes.
Enrico Caruso singt
Immerhin: Enrico Caruso hat mehrere Auftritte. Er singt „Bella figlia dell’amore“ aus „Rigoletto“. Und dank elektronischer Nachhilfe hält er seine Spitzentöne länger als zu seinen Lebzeiten. Die konservierte Tenor-Legende und lebende Solisten sind eingewoben in Klangflächen vielfach geteilter Streicher. Diese Viertelstunde hat ihren Reiz.
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Sonst passiert musikalisch nicht viel: Drei Posaunen spielen einen Choral wie bei einer protestantischen Beerdigung, ein andermal röhren sie apokalyptisch aus dem Hintergrund, wozu das obligatorische Bum-Bum der großen Trommel ertönt. Recht wenig Musik für 70 Minuten. Und auch kaum Theater: Zwischen den Tribünen in der Muffathalle ereignet sich biedere Allerweltsregie (Marco (S)torman). Ein Mezzo steht singend als Claudia Cardinale herum, eine andere Sängerin mit angeklebtem Bart und weißblonder Mähne scheint Kinski vorzustellen.
Gegen Ende fallen alle Hüllen bis auf Turnhosen für ein Fußballspiel. Das Podium mit dem Münchener Kammerorchester wird auseinandergezogen. Man errichtet Masten aus Stahl für nichts, von der Decke kommen mit Saiten bespannte Balken. Die werden eine Weile mit Bögen angestrichen: Man kann es als Illustration des Worts von der „Eroberung des Nutzlosen“ nehmen, denn der musikalische Ertrag dieses Aufwands tendiert gegen Null.
Die Sendung mit der Maus
„Sweat of the Sun“ ist eine typische Kopfgeburt des Neuen Musiktheaters: eine Oper über ein Buch zu einem Film über Opernbegeisterung. Und sie verwertet offenbar wie Donizetti & Co. bereits vorhandene Werke. Tiefer in die Selbstreferentialität taucht dann die zweite Uraufführung der Biennale im Carl-Orff-Saal ein. Simon Steen-Andersens „if this then that and now what“ spielt nicht ungeschickt mit der Illusion, dem Werk und anderen Theoriebegriffen des (Musik-) Theaters. Vier Herren in Schwarz marschieren da in tausend Variationen durch Türen und einen Spiegelkasten, ehe dann über die Unmöglichkeit des Schreibens eines Romananfangs debattiert wird.
Die Choreografie der Auftritte und die harten Schnitte sind von sehenswerter Virtuosität. Ein Dirigent dirigiert mit großer Geste ein einzelnes Streicher-Pizzikato. Tischtennisbälle fallen über ein kompliziertes Rohrsystem auf das Becken und die Große Trommel. Zwei Posaunisten treten gegeneinander an. Die Streicher des Staatstheaters Mainz spielen barocke Sarabanden und setzen bei Geräuschen ihr schönstes Profi-Pokerface auf. Und anfangs wird auch gelacht: eine Seltenheit bei Neuer Musik.
Eine Etage höher
Eine halbe Stunde lang macht diese Mischung aus VHS und „Sendung mit der Maus“ einigen Spaß. Auch die Klangbastelei hat ihren Reiz. Aber die bisweilen staunenswert naiven Texte werden mit der Zeit so schwurbelig, dass zu befürchten ist, Steen-Andersen meine sie ernst. Das Thema wird derart erschöpfend durchgekaut, dass nach 135 Minuten allgemeine Erschöpfung ausbricht.
Angereiste Besucher erzählen in der Pause zwischen den Opern von Georg Friedrich Haas’ und Händl Klaus’ soeben in Schwetzingen uraufgeführtem Musiktheater „Koma“. Es handelt von einer Erfahrungsebene zwischen Leben und Tod.
Bei der Biennale raschelt dagegen wieder einmal das Papier. Wenn nicht alles täuscht, scheint die Münchener Biennale unter Manos Tsangaris und Daniel Ott im Elfenbeintürmchen eine Etage höher zu ziehen: immer kopfig, noch abgehobener, im Ganzkörperkondom abgeschottet von der Welt da draußen, Gefühlen oder gar Körperflüssigkeiten. Denn das Schwitzen der Sonne blieb in der ersten Uraufführung die pure Behauptung.
„Sweat of the Sun“ noch heute und morgen, 20 Uhr, in der Muffathalle, „if this then that and now what“ ebenfalls heute und morgen, 20 Uhr, im Carl-Orff-Saal des Gasteig; Infos unter www.muenchenerbiennale.de