Tyrann im Fuchspelz

Schorsch Kamerun verwandelt Goethes "Reineke Fuchs" im Marstall in ein grellbuntes Musical für Kinder und Erwachsene
von  Anne Fritsch
Fabelhaftes Tiereraten: (v.li.) Felicia Chin-Malenski, Niklas Mitteregger, Pia Händler, Myriam Schröder, Delschad Numan Khorschid, Hannah Scheibe.
Fabelhaftes Tiereraten: (v.li.) Felicia Chin-Malenski, Niklas Mitteregger, Pia Händler, Myriam Schröder, Delschad Numan Khorschid, Hannah Scheibe. © Sandra Then

Schorsch Kamerun ist seit Jahren so etwas wie ein Hans Dampf in allen Gassen der Münchner Theaterszene. Kammerspiele, Staatsoper, Residenztheater - überall inszenierte der Sänger der Hamburger Band "Die Goldenen Zitronen" schon seine schrägen und meist kunterbunten Musiktheaterabende, gerne basierend auf Literatur- oder Filmvorlagen.

Sein neuester Streich: ein "schwindelerregendes Theatermusical" nach Johann Wolfgang von Goethes wohl längstem Gedicht, dem "Reineke Fuchs". Im Marstall hatte das Ereignis nun Premiere, Kamerun versucht mithilfe von schrägen Tieren alle "Menschen ab 10 Jahren" glücklich zu machen. (Tiere und Unmenschen sind zumindest im Publikum wohl nicht erwünscht.)

Nun hat die Vorlage ja erstmal - von den Tieren mal abgesehen - eher wenig gemein mit den üblichen Stoffen, aus denen Theater für Kinder sonst so erwächst. Über 146 Seiten zieht sich das Goethesche Gedicht in durchgehenden Hexametern bis zur dröhnenden Schlussmoral, eine gereimte Parabel mit einem Hauch Oberlehrer-Gestus. Reineke Fuchs, der unter den anderen Tieren Angst und Schrecken verbreitet, trägt am Ende den Sieg davon. Lug und Trug siegen. Auf dass die Leserschaft etwas daraus lerne, das Böse meide, die Tugend verehre. Dagegen ist freilich gar nichts einzuwenden, im Gegenteil. Da draußen laufen schließlich so einige Reinekes herum, die trotz Lug und Trug in Landtagswahlen Siege davontragen.

Um den sperrigen Stoff nun theater- und zielgruppentauglich zu machen, hat Gloria Brillowska das tierische Ensemble in fantastische Kostüme gesteckt. Myriam Schröder trägt als Löwe einen gold-glitternden Lametta-Anzug zu einer knallgelben und kreisrund abstehenden Perücke. Delschad Numan Khorschid verwandelt sich mittels Lederhose, enormen Mengen Webpelz und langen Krallen in einen bajuwarischen Bären mit Hang zu Problemen. Und Pia Händler wird mit weiß-orangener Lederkluft und steil aufstehenden roten Haaren zum fiesen Fuchs.
Die Bühne von Katja Eichbaum bietet im Hintergrund kleine Buntglaskabinen, in denen sich verschreckte Tiere verstecken können und die ein wenig an die rot beleuchteten Schaufenster Amsterdams erinnern. Eine Menschen- beziehungsweise Tierschau. Ein kleiner Bildschirm überträgt die Szenerie von oben betrachtet, lässt den in schwarz-weißen Wellen gestalteten Boden zur dreidimensionalen Hügellandschaft werden. Die Live-Videos von Jonas Alsleben sorgen für weitere Effekte, holen den abwesenden Fuchs überlebensgroß und furchteinflößend heran oder folgen den fliehenden Tieren ins Off. Ästhetisch ist also viel geboten in den gut 80 Minuten.

Hanna Scheibe führt als Kater Hinze durchs Geschehen, erklärt und kommentiert, wenn sie nicht gerade selbst von Reineke überlistet wird. Kamerun hat das langatmige Gedicht schmissig eingekürzt und mit einigen Songs angereichert, die die Genrebezeichnung "Musical" rechtfertigen.

"Er ist ein Luxuswesen/Noch nie so da gewesen/Steht er im Mittel-Punkt", schmettert da zum Beispiel Niklas Mitteregger als Dachs ins Mikro. Mit viel Spaß an der Freude führt das Ensemble vor, wie leicht sich Tiere (und Menschen) verführen, belügen und betrügen lassen, wenn einer ihnen nur das Richtige verspricht, geschickt mit ihren Sehnsüchten und Eitelkeiten spielt. Wie sie sich ausgewählt fühlen, wo sie doch rebellieren wollten. Wie sie glauben wollen statt zu durchschauen. Es ist ein Jammer.

Alle fürchten Reineke und bewundern ihn irgendwie für seine Dreistigkeit, keiner tritt ihm entgegen, alle lassen ihn gewähren, seine Macht festigen. Ein kleiner Putin oder Erdogan im Fuchspelz, ein Verführer und Manipulator, dem der wenig souveräne Löwenkönig nach und nach immer mehr Macht überlässt. Diese dummen Tiere laufen sehenden Auges in ihr Verderben, die Gewaltherrschaft. Und über allem schwebt die Frage, ob wir Menschen denn so viel klüger sind?

Marstallplatz, wieder am Sonntag, 22. Oktober, 17 Uhr und Montag, 23. Oktober, 11 Uhr sowie weitere Vorführungen Mitte November, residenztheater.de

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