"Tristan und Isolde": Kein Buh für die Regie

Christian Thielemann und Katharina Wagner haben die Bayreuther Festspiele mit "Tristan und Isolde" eröffnet. Schon nach dem ersten Aufzug gab es Getrampel und Bravo-Rufe. Die AZ-Kritik.
von  Robert Braunmüller

Bayreuth - Jede Neuinszenierung auf dem Grünen Hügel ist bis zum Unerträglichen aufgeladen mit Erwartungen. Es gibt nur eine Premiere pro Saison. Und jeder Besucher erwartet auf geheiligtem Boden die ultimative Wagner-Ekstase. Ab September ist Katharina Wagner die alleinige Leiterin der Festspiele. Im Fall einer „Tristan“-Niederlage wären nach dem Fallen des Vorhangs die Messer gewetzt worden.

Doch es kam anders. Schon nach dem ersten Aufzug gab es Getrampel und Bravo-Rufe für die erst Ende Juni eingewechselte Isolde der Evelyn Herlitzius, die als Kundry und Ortrud am gleichen Ort auch schon unfreundlich abgestraft wurde. Thielemann und die Sängerin kassierten beim Schlussapplaus je ein politisches Buh. Als das Regieteam beim erneuten Heben des Vorhangs überraschenderweise vor den Statisten stand, wurde kein Widerspruch laut. Eine neue Erfahrung in Bayreuth.

Musikalisch herausragend - überzeugendste Isolde seit Jahren

Musikalisch ist die Aufführung herausragend. Natürlich hat die Stimme der Herlitzius ihre durchdringenden Schärfen. Das Timbre ist Geschmackssache. Aber diese Sängerin muss man im Theater live erleben. Keine Isolde der letzten Jahre hat den Zorn und die böse Bitternis im ersten Aufzug so überzeugend ausgespielt. Dass die lyrischen Stellen am Beginn des zweiten Akts weniger schön klingen, nimmt man in Kauf. Und ihre Stimme mischte sich optimal mit dem sensationellen Tristan von Stephen Gould. Der Amerikaner ist ein echter schwerer Heldentenor. Er hat trotz einer dunklen Grundierung eine strahlende Höhe. Im ersten Aufzug sang Gould anfangs betörend lyrisch. Aber er hat die Kraft für die beiden Duette und mobilisiert gewaltige Reserven für die mörderischen Fieber-Ekstasen des dritten Aufzugs. Wer die große Zeit des Wagner-Gesangs in den fünfziger und sechziger Jahren nicht miterlebt hat, dürfte den Tristan live nie so kultiviert gesungen erlebt haben wie in dieser denkwürdigen Festspielpremiere.

Katharina Wagners Inszenierung beginnt in einem von den „Carceri“-Stichen des Giovanni Battista Piranesi inspirierten Treppenlabyrinth (Bühne: Frank Philipp Schlößmann, Matthias Lippert) Tristan und Isolde verlieren sich keine Sekunde aus den Augen. Sie sind verhängnisvoll aufeinander bezogen müssen von ihren Vertrauten von Beginn an gewaltsam auseinander gehalten werden.

Das schaut bisweilen ein wenig nach mittlerem Stadttheater aus. Aber die Urenkelin des Komponisten hat eine klare These zu diesem Musikdrama. Und die zieht sie ohne größere szenische Sperenzchen durch. Sie erzählt die Unmöglichkeit einer absoluten Liebe. Tristan und Isolde brauchen keinen Liebestrank. Sie schütten ihn sich über die ausgestreckten Arme, als schlössen sie Blutsbrüderschaft.

Starker Schluss

Der zweite Aufzug führt diese Versuchsanordnung weiter: Beobachtet und mit Scheinwerfern gefoltert stecken sie in einem Verlies mit rätselhaften runden Gittern fest, die ein wenig an stählerne Fahrradständer erinnern. Tristan versucht es mit Romantik und hängt ein paar Sternchen auf, doch er wirft das Liebeszelt bald um. Dann schneidet sich das Paar die Pulsadern auf.

Im dritten Akt illustriert Katharina Wagner die Fieberträume Tristans auf fast leerer dunkler Bühne durch geisterhafte Erscheinungen Isoldes. Nach Tristans Tod bahren ihn Markes Männer wie die Angestellten eines Beerdigungsinstituts auf. Isolde will vom Tod ihres Geliebten nichts wissen. Sie zerrt an seiner Leiche herum, bis Marke sie am Ende brutal wegführt. Es wirkt wie das Vorspiel zu einer Vergewaltigung. Ein starker Schluss.

Christian Thielemann kostet dazu den Liebestod mit einer spannungsreichen Verlangsamung aus. Der frisch ernannte Musikdirektor der Bayreuther Festspiele verlor sich auch nicht, wie früher oft, mit dem Festspielorchester in Details und Klanggenüssen. Schon die ersten Takte des Vorspiels glühten von einer Intensität, die der Dirigent nur abschwächte, um sie immer weiter zu steigern.

Beste Bayreuther Premiere seit Jahren

Die eher karge Szene und das opulente, aus dem versenkten Graben etwas streicherlastig tönende Festspielorchester steigern sich prächtig. Auch die kleineren Rollen waren gut besetzt: Christa Mayer sang eine opulente Brangäne, Georg Zeppenfelds schlanker Bass und der unsentimentale Zugriff passte zur Gemeinheit des Marke in dieser Inszenierung. Ein paar Details nerven, wie etwa der im ersten Teil der Liebesszene des zweiten Aufzugs wie ein wildes Tier gegen die Wände rennende Kurwenal (Ian Paterson). Aber in der Werkstatt Bayreuth wird traditionell ständig weiterinszeniert. Ob die Verweigerung des Liebestodes in den Folgevorstellungen ähnlich widerspruchslos aufgenommen wird, wird man sehen.

Dennoch: Dieser „Tristan“ ist - weil der von Kirill Petrenkos sensationell dirigierte „Ring“ weder szenisch noch gesanglich restlos überzeugte - die beste Bayreuther Premiere seit Jahren. Endlich eine Wagner-Aufführung, die das große Kribbeln auslöst.

Die Aufführung vom 7. August wird ab 15.45 Uhr in das Cinemax am Isartor, ins Scala Fürstenfeldbruck, Cineplex Neufahrn und Erding sowie die Gröbenlichtspiele Gröbenzell übertragen. Infos unter wagner-im-kino.de

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