Kritik

"Tristan und Isolde" in Bayreuth: Der wahre Glaube an die Liebe

Die Bayreuther Festspiele eröffnen mit Wagners "Tristan und Isolde" in der Regie von Roland Schwab und unter der musikalischen Leitung des Einspringers Markus Poschner.
von  Robert Braunmüller
Tristan (Stephen Gould) und Isolde (Catherine Foster).
Tristan (Stephen Gould) und Isolde (Catherine Foster). © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Dass der Regisseur an die die unbedingte, ewige Liebe glaubt, ist erst einmal grundsympathisch. Denn nichts ist leichter, romantische Mythen mit ein paar Männern in Ledermänteln zu dekonstruieren oder mit allzuviel banalem Realismus lächerlich zu machen. Die Bayreuther Neuinszenierung von Richard Wagners "Tristan und Isolde" beweist aber auch, wie schwierig es ist, auf der Bühne ans Wahre, Gute und Schöne zu glauben.

Zum Vorspiel erscheint ein junges Liebespaar. Wenn sich der Vorhang wieder öffnet, erinnert die Bühne an ein Raumschiff. Durch kreisrunde Öffnung blickt man auf ziehende Sommerwolken. Ist das große Loch im Boden ein verglaster Ausblick in Richtung Erde? Oder wegen der banalen weißen Liegesofas doch ein Schwimmbad im Wellnessbereich eines Traumschiffs?

Sterne wie in einer Stadtfernen Gegend

Der LED-Boden zeigt Wasserwogen, die sich rot färben und am Aktschluss das Liebespaar in den Strudel seiner Leidenschaft hineinziehen. Bis zum Ende der Aufführung blitzen hier und durch das Dach des nur mit etwas Grün variierten Einheitsraums die Sterne wie in einer stadtfernen Gegend ohne Lichtsmog (Bühne: Piero Vinciguerra).

Wenn sich Tristan bei der Aufarbeitung der Beziehungs-Vergangenheit eine Zigarette anzündet und Isolde wütend die Stühle dreht, entwickelt sich die Aufführung momentweise in Richtung "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?". Womöglich sind das die Mühen der Beziehungsebene, die das junge Paar zwischendurch erlebt - aber wirklich deutlich wird das nicht.

Stephen Gould als Tristan: Etwas verhärtet

Leider interessiert sich der Regisseur ab dem Liebestrank kaum für den auf unausgelebten Gefühlen gründenden Hass der Geschlechter. Für den Rest der Aufführung werden Tristan und Isolde zu weißgekleideten, tönenden Symbolen wie in einer Inszenierung von Wieland Wagner. Und das kann ziemlich anstrengend werden, wenn nicht wirklich faszinierend gesungen wird.

Der als Darsteller erratische Stephen Gould war vor fünf Jahren in Katharina Wagners Regie und unter Christian Thielemanns musikalischer Leitung ein Tristan des maximal Möglichen in dieser letztendlich unmöglichen, nie befriedigend zu realisierenden Partie. Es mag an der Hitze und der allgemeinen Nervosität gelegen haben, aber in der Premiere der Neuinszenierung wirkte seine Stimme verhärtet. Als Interpret neigt er wieder wie in seinen ersten Bayreuther Jahren zum kalten Buchstabieren der Noten.

Catherine Foster als Isolde: Alles Lyrische fehlt

Catherine Foster gestaltet die unterdrückte Aggression im ersten Akt sehr überzeugend. Sie imponiert mit stählernen Trompetentönen, aber alles Lyrische fehlt ihrer Isolde völlig. Und das ist eine ganze Menge. Wie Wagner eigentlich gesungen werden müsste, führen Georg Zeppenfeld (Marke) und mit kleineren Abstrichen auch Markus Eiche (Kurwenal) vor: schön, mit Finesse im Detail und aus dem Text gezeugt.

Der dritte Akt bleibt unbefriedigend statisch. Im zweiten Akt hat Roland Schwabs Inszenierung respektable und interessante Momente, wie die in der als Verhör arrangierten Marke-Szene und der Komplett-Verweigerung der Kämpferei am Ende. Banalität ist allerdings nie weit: Die Guten tragen weiß, die Bösen schwarz, die Mittleren halb und halb.

Es spricht mindestens so viel dagegen wie dafür, Wagners Klang-Visionen optisch zu verdoppeln. Aber der gestirnte Himmel über uns wirkt als Symbol der Unendlichkeit reichlich abgenutzt. Das den ganzen Abend leuchtende Sanskrit-Wort für "ewig" und das zuletzt greisenhafte Liebespaar wirkt wie jede Hilfskonstruktion plakativ.

Markus Poschner als unbedingtes Plus

Die große Überraschung ist der kurzfristige Einspringer und Bayreuth-Debütant Markus Poschner. Eher langsame Tempi ließen Hochspannung entstehen, im Vorspiel steigerten sich Bläser und Streicher mit ungewohnter Durchhörbarkeit bis zur klanglichen Ekstase. Einige etwas mulmige Stellen wie der Beginn des zweiten Akts wiegt die resignierte, dunkle Trauer der Streicher am Ende des zweiten Akts auf. Derlei war im Festspielhaus schon lange nicht mehr so schön und prägnant zu hören.

Das ist ein unbedingtes Plus dieser Neuproduktion, die wegen fehlender Vorbereitungszeit Nachsicht verdient. Sie wurde als potenzieller Ersatz für den Notfall einer coronabedingten Absage der "Ring"-Neuproduktion eingeschoben. Daher steht sie heuer auch nur ein weiteres Mal auf dem Spielplan. Es mag sein, dass Roland Schwab in den folgenden Jahren seiner Inszenierung die latente Stadttheaterhaftigkeit noch austreibt. Das Publikum hat diese wagnerianischste Wagner-Inszenierung bereits ins Herz geschlossen. Die Ovationen erreichten eine auch in Bayreuth ungewohnte Orkanstärke. Und immerhin wurde mit Poschner ein profilierter Wagner-Dirigent entdeckt, der außerhalb Österreichs bisher zu wenig bekannt war.


Noch einmal am 12. August und wieder 2023.

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