Transmediale Science-Fiction in den Kammerspielen

München - Das neue, fünfte Album des Rundumkünstlers Florian Kreier alias Angela Aux heißt "Instinctive Travels On The Paths Of Space And Time" und ist der musikalische Teil einer Trilogie.
Erst Theater, dann Konzert
Dazu gehören auch der Science-Fiction-Roman "Nach dem Ende der Zeit" und das transmediale Theaterstück "Introduction To The Future Self", das Ende 2021 an den Kammerspielen uraufgeführt wurde. Aus Anlass der Album-Veröffentlichung wird es am Samstag wieder gegeben, im Anschluss spielt Angela Aux mit Band weitere Songs. Das Album kann man übrigens auch abseits des theoretischen Rahmens hören: Es bietet bemerkenswerte Popmusik, etwa den überragenden, keck betitelten Eröffnungssong "Yesterday".
AZ: Herr Kreier, inwiefern hängen das Album und das Theaterstück zusammen?
Florian Kreier: Das ist eine transmediale Arbeit, die Platte und das Buch erweitern das Theaterstück. Die einzelnen Teile können aber auch ohneeinander bestehen. Die meisten Songs sind Teil des Theaterstücks, aber nicht alle.
In diesem blicken Sie nach der Apokalypse zurück auf die Menschheit - aus der Perspektive von Maschinen. Richtig zusammengefasst?
Ja, das ist die Perspektive des Stücks. Und der Erzähler der Platte ist so eine Mischung aus Robocop und Bob Dylan, und es geht um die großen Themen: Was ist der Mensch, wo werden wir alle landen? Im ersten Song "Yesterday" habe ich die "Gott ist tot"-Passage aus Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" einen Schritt weitergedacht: Der Mensch wird feststellen, dass das, was er für den Mensch hielt, bald nicht mehr vorhanden ist.
"Eine Auslagerung unseres Gehirns"
Wieso das denn?
Es ist für uns schon normal, einen Taschencomputer mit uns herumzutragen, der eine Auslagerung unseres Gehirns ist. Aber diese Entwicklung wird weitergehen. Es gibt milliardenschwere Unternehmen, die seit Jahren daran arbeiten, dass die Verschmelzung von Mensch und Maschine weitergeht. Ein anderer Punkt sind lebensverlängernde Maßnahmen und DNA-Manipulation. Da ist für mich die Frage: Sind wir überhaupt noch Menschen, wenn wir unser Ablaufdatum um das Drei- oder Vierfache überschreiten, wenn wir verschiedene Körperprozesse auslagern oder erweitern?
Ganz soweit ist's ja noch nicht.
Aber die Entwicklung ist schon weit fortgeschritten. Ein Hirnschrittmacher ist ein starker Eingriff in das Lebewesen, das wir mal waren. Wenn man überlegt, wie alt wir werden – da sind wir schon über eine gewisse Grenze hinaus. Ich habe aber keine eindeutige Meinung gegenüber den neuen Technologien. Wenn sie richtig eingesetzt werden, sind sie super. Aber wenn eine bestimmte Menschengruppe eine Technologie erschließt, wird's bitter. Denken wir mal an die Atomenergie: Damit haben Militaristen die schrecklichste Bombe gebaut – und die liegt als Hypothek auf diesem Planeten. Oder allein wie Social Media den Menschen psychologisch verändert: Die Konsequenzen wird man erst in ein paar Jahrzehnten absehen.
Echte Instrumente statt Maschinen?
Sie beschäftigen sich mit der Maschine, aber auf der Platte hört man Menschen an echten Instrumenten.
Aber im Gegensatz zu meinen Vorgängerplatten ist sie weniger naturalistisch. Es gibt oft Morphing-Prozesse in Instrumenten. Sie beginnen natürlich, werden in ein elektronisches Adäquat übersetzt und wechseln dann wieder zurück. Nur bei einem einzigen Stück hört man ein analoges Schlagzeug. Ansonsten wurde es aufgenommen, gesampelt, wieder einprogrammiert. Es ist aber schwer, etwas Zukünftiges zu machen, was einen nicht in der ersten Sekunde erschlägt.
Wenn es um Mensch und Maschine geht: Hätte es sich da nicht angeboten, künstliche Intelligenz einzusetzen?
Wir haben mit einem KI-Programm gearbeitet, in das man zum Beispiel Beatles-Songs eingeben kann und das diese dann in die einzelnen Spuren zerteilt. Als Musiker lernt man so dazu. Auf der Platte gibt es zwei Songs, in die das eingeflossen ist. Da geht es um Auslassungen, das kann man bei den Beatles lernen. Ringo Starr ist auch deshalb so ein genialer Drummer, weil er viele Dinge nicht gespielt hat. Deshalb hört man dann an einen akzentuierten Basston oder eine Sololick-Gitarre von George Harrison. Das Schlagzeug dominiert nicht die Rhythmik, sondern gemeinsam entsteht ein rhythmisches Konstrukt, bei dem man dranbleibt. Diese Musik lässt einen nie los, weil sie so gut konstruiert ist. Queen war auch genial in den Auslassungen. Heute neigen die Musiker dazu, alles vollzuballern. Da gibt es dann Aufnahmen mit 50 Spuren. Viele ältere Tontechniker und Produzenten sagen: Wenn es zu viele Spuren werden, stimmt etwas nicht. In genialen Songs sind alle kompositorischen Informationen in ein paar Instrumenten verzahnt.
"Die Maschine treibt den Menschen vor sich her"
So haben sie also dank KI musikalisch dazugelernt. Haben Sie KI auch direkt beim Aufnahmeprozess verwendet?
Wir haben auch mit Tools gearbeitet, in die man Samples einspeist. Dann werden bestimmte Stimmungen erzeugt. Das ist auch in die Platte eingeflossen, aber das ist noch nicht immer auf einem interessanten Stand. Der Mensch wird nie auf diesem Feld vertrieben werden, aber die Maschine treibt den Menschen vor sich her. Die Synthesizer haben ja auch nicht die Pianisten verdrängt – aber die Pianisten, die das als Einfluss genommen haben, haben eine andere Art zu spielen entwickelt.
Wie sind Sie eigentlich zu "Angela Aux" geworden?
Ich wollte für eine frühere Band einen neuen Namen. Auf dem Weg zum Proberaum sind wir immer an der Anita-Augspurg-Allee vorbeigekommen. Ich wollte die Bandkollegen überreden, dass wir uns so nennen - hatte aber den Vornamen mit Angela verwechselt. Das ging dann mit den Bandkollegen immer hin und her, und am Ende einer Aufnahmesession haben sie mich Angela Aux genannt. Ich habe dann zu Anita Augspurg recherchiert und festgestellt, dass diese wichtige Frauenrechtlerin viel zu wenig bekannt ist. Da hat der Name erst recht gepasst.
Weniger Chancen mit einem Frauennamen
Wie waren die Reaktionen auf den Namen?
Damals habe ich vor allem Hip-Hop gemacht, und in der machoistischen Hip-Hop-Welt hatte es noch eine ganz andere Sprengkraft, unter einem Frauennamen aufzutreten. Deswegen haben mich viele Leute nicht eingeladen – aber auch später noch, als ich Folk gemacht habe. Die Leute haben gesagt: Schöne Musik, Du kannst wiederkommen, wenn Du einen ordentlichen Namen hast. Es wurde auch nicht akzeptiert, dass ich in Frauenkleidern aufgetreten bin.
Sie haben es sich also schwerer als nötig gemacht, um ein feministisches Statement zu setzen?
Ich will mit dieser Fahne nicht herumwedeln. Ich will nicht die Lebensleistung anderer Menschen, deren Leid ich nicht tragen muss und nicht nachvollziehen kann, nutzen, um mehr zu verkaufen. Dass ich auf der Bühne mit Frauenkleidern aufgetreten bin, war auch eher ein Kommentar zur Rolle der Männer.
Die Unfreiheiten von Männern
Inwiefern?
Wenn ein Mädchen mit Krawatte in die Schule geht: Na und? Aber wenn ein Junge auf dem Land in der zehnten Klasse ein Kleid anzieht, spricht die ganze Schule davon. Und wenn der CEO von Siemens einen Geschäftsbericht im Abendkleid vortragen würde, würde jede Zeitung auf der ganzen Welt darüber berichten. Da ist etwas nicht im Gleichgewicht. Das bedeutet etwas. Ich weiß nicht genau was, aber es hat mit Unfreiheit zu tun. Männer werden in Schablonen gedrängt, ohne es zu merken.
"Instinctive Travels On The Paths Of Space and Time" erscheint am 5. Mai bei Inselgruppe/Alive. Das Album-Release-Konzert mit dem Theaterstück ist am 29. April um 20 Uhr in den Kammerspielen, Karten unter muenchner-kammerspiele.de