Kritik

"Tosca" in der AZ-Kritik: Die überflüssigste Neuinszenierung der Bayerischen Staatsoper seit Jahren?

Kornél Mundruczó hat den Puccini-Klassiker "Tosca" für die Bayerische Staatsoper neu auf die Bühne gebracht. Ein Unterfangen, das man sich fast hätte sparen können, schreibt AZ-Kritiker Robert Braunmüller. Wäre da nicht ein besonderes Novum im Puccini-Jahr 2024.
von  Robert Braunmüller
Puccinis "Tosca" im Nationaltheater
Puccinis "Tosca" im Nationaltheater © Wilfried Hösl

München - Die meisten großen Häuser jagen gastierende Stars durch die Dekorationen einer uralten Traditionsinszenierung-"Tosca". Die bisweilen überambitionierte Bayerische Staatsoper ersetzte 2010 Götz Friedrichs Kostümschinken durch die unansehnliche Ausstattung des Cheréau-"Ring"-Bühnenbildners Richard Peduzzi.

Luc Bondys höchstens mittelmäßige Inszenierung von Puccinis Oper hat nun allerdings eine noch schwächere Nachfolgerin. Wenn man die szenisch ebenfalls verunglückte Aufführung des Gärtnerplatztheaters dazuzählt, ist das die dritte verpatzte Münchner "Tosca" in relativ kurzer Zeit, während seit Jahren eine Erneuerung von "Madame Butterfly" erforderlich wäre.

Eleonora Buratto und Charles Castronovo.
Eleonora Buratto und Charles Castronovo. © Wilfried Hösl

Dirigent Andrea Battistoni kassierte bereits Buhs vor dem zweiten Akt, auf die ein freundlicher Bravo-Sturm antwortete. Beide Seiten haben plausible Argumente auf ihrer Seite: Battistonis Tempi sind klug und die Aufführung bedient gängige Vorstellungen von Verismo und italienischer Oper.

Für feinere Ohren ist die durchwegs oberhalb von Mezzoforte angesiedelte Lautstärke weniger geeignet, der vor allem Charles Castronovo zum Forcieren zwang. Die Solo-Celli des Bayerischen Staatsorchesters spielten im dritten Akt so schmalzig wie immer, und auch sonst klang alles so brutal wie in einer durchschnittlichen Repertoireaufführung dieser Oper.

Oper mit Roten Brigaden

"Tosca" spielt eigentlich in einer bestimmten historischen Situation der napoleonischen Kriege an bekannten römischen Schauplätzen wie der Kirche Sant'Andrea della Valle und der Engelsburg. Das ist nur um den Preis heftiger Widersprüche zwischen Text und Szene zu ändern, die der Regisseur Kornél Mundruczó offenbar aushalten wollte.

Cavaradossi ist in seiner Überschreibung kein Maler, sondern Pier Paolo Pasolini. Der verfilmt laut Klappe "Don Giovanni", was aber dem berühmt-berüchtigten Film "Salò o le 120 giornate di Sodoma" zum Verwechseln ähnlich sieht.

Die Folterung Cavaradossis im zweiten Akt.
Die Folterung Cavaradossis im zweiten Akt. © Wilfried Hösl

Der aus der Engelsburg fliehende Angelotti ist ein etwas tapsiges Mitglied der "Brigate Rosse", dem man in der Haft seine geliebte rote Fahne gelassen hat. Der eigentlich schwule Pasolini turtelt bei Mundruczó mit einer Sophia Loren nicht unähnlichen Sängerin. Dann stürmen die Carabinieri das Atelier. Zum "Te Deum" greift sich die Polizei Kleindarsteller in Frauenkleidern für eine (handwerklich mäßig inszenierte) Prügelorgie heraus, während Büßermönche die in jeder "Tosca" unvermeidliche Kitschmadonna hereintragen (Ausstattung: Monika Pormale).

Handwerklich schlecht gemacht

Der Rest verläuft wie üblich, nur schlechter. Im zweiten Akt wird der Tenor im Untergeschoss gefoltert, im dritten schaut sich Pasolini vor seiner Hinrichtung noch einmal sein Gesamtwerk an. Dann wird er im Folterkeller mit Maschinenpistolen erschossen, ohne dass sich seine Henker anschließend über geplatzte Trommelfelle beklagen würden. Zuletzt springt Tosca in die Tiefe – allerdings nicht von der Engelsburg, sondern von dem auf drei Meter Höhe hochgefahrenen Keller, in dem effekthascherisch das Blut hochspritzt.

Pasolini (Charles Castronovo) schaut vor seinem Tod noch einmal sein filmisches Gesamtwerk an.
Pasolini (Charles Castronovo) schaut vor seinem Tod noch einmal sein filmisches Gesamtwerk an.

Mundruczó kann es offensichtlich nicht

Wahrscheinlich bricht sie sich nur einen Knöchel. Man kann sicher auch "Tosca" ändern, wenn man "Tosca" ändern kann. Nur: Mundruczó kann es offensichtlich nicht. Sein linker Pasolini-Kult wirkt so angestaubt wie die wohlfeile Kritik an der Kirche und der Christdemokratie der 1970er-Jahre, die hier unter Faschismusverdacht gestellt wird. Dass dieses Konzept nur auf Krücken hinkt, hätten die Verantwortlichen eigentlich auf der Bauprobe erkennen müssen.

Tézier triumphiert als Scarpia, Castronovo setzt als Cavaradossi auf Lautstärke 

Die an der Bayerischen Staatsoper gewohnte Premierenqualität bietet nur Ludovic Tézier als Scarpia, den die Inszenierung nicht unüberzeugend als Schreibtischtäter und Giulio-Andreotti-Double mit Hornbrille versteht. Tézier singt erheblich subtiler als die meisten seiner Vorgänger, verfügt aber auch über die nötige Kraft für das "Te Deum". 

Eleonora Buratto braucht eine Weile, um sich von einer etwas flackernden Dramatik frei zu singen. In der Arie findet sie aber dann zu einer anrührenden Schlichtheit. Das Divenhaft-Kokette, das bei der Tosca nicht fehlen sollte, geht ihr ab und auch sonst wirkt ihr Rollenporträt nicht ganz rund. 

Charles Castronovos Tenor ist für das Nationaltheater zu klein. Er musste als Cavaradossi von Anfang an auf seine stimmlichen Reserven zurückgreifen. Seine an sich schöne Stimme wirkte stellenweise stark aufgeraut. Ob er seiner Stimme einen Gefallen tut, wenn er Interpretation durch Lautstärke ersetzt, muss er selbst wissen.

Ludovic Tézier mit Eleonora Buratto im zweiten Akt.
Ludovic Tézier mit Eleonora Buratto im zweiten Akt. © Wilfried Hösl

Am Schluss peitschten sich Beifall und Buhs gegenseitig hoch. Man müsste von der überflüssigsten Neuinszenierung der Bayerischen Staatsoper seit Jahren sprechen, wenn es im Puccini-Jahr 2024 nicht ein Novum gäbe, das Kenner befriedigt: Drei traditionell gestrichene Takte nach "Vissi d'arte" sind in dieser Aufführung ausnahmsweise einmal zu hören.

Wieder am 23., 26., 29. Mai, 1., 3., 6., 9. Juni sowue an 24. und 27. Juli im Nationaltheater, teure Restkarten

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