Tobias Moretti über Homers "Ilias"
Brigitte Hobmeier und Tobias Moretti lesen im Künstlerhaus aus Homers "Ilias", in der der Kampf der Griechen gegen Troja beschrieben ist. Ausgelöst durch die dramatische Liebe zwischen Paris und der schönsten Frau der Welt, Helena. Die Geschichte setzt nach 10 Jahren Krieg ein mit dem Zorn des griechischen Helden Achilles, der beleidigt an den blutigen Schlachten nicht mehr teilnehmen will. Und hinter und über allem: die spöttischen, überheblichen Machenschaften der olympischen Götter.
AZ: Herr Moretti, im Gegensatz zur "Odyssee" ist die "Ilias" vor allem auch ein großes Schlachten mit vielen aufgezählten Waffenarsenalen und Kampfbeschreibungen. Wie geht man damit um?
TOBIAS MORETTI: Tatsächlich beschreibt die Ilias die heiße Phase des Kriegs um Troja - eigentlich ja nur wenige Wochen, und sie endet quasi mitten auf der Brücke… mit einer Feuerpause zum Begräbnis Hektors. Aber danach wird es weitergehen. Das Epos handelt vom grausamen "Zorn des Achill", so heißt es im ersten Vers, vor allem aber auch vom Kalkül und von der Willkür der Götter, welche die Schlacht nach Belieben einmal in die eine, mal in die andere Richtung lenken oder drehen. Dazwischen gibt es dann aber Inseln der Menschlichkeit: die Klage von Andromache zum Beispiel oder die Rösser von Achill, die um Patroklos weinen. An der Übertragung von Raoul Schrott finde ich so faszinierend, wie unmittelbar diese beiden Facetten der Geschichte einen regelrecht anspringen.
Raoul Schrott hat die "Ilias" frei, sehr heutig und deftig ins Deutsche übersetzt: Geht damit das Erhabene verloren?
Was ist am Krieg erhaben? Außerdem finde ich nicht, dass etwas verloren geht, eher dass er es klarer werden lässt. Denn es geht ja nicht um das Gemetzel, sondern um die Erzählkunst Homers - auch durch seine scharfsichtige und auch scharfzüngige Religionskritik, die sehr modern ist, obwohl sie über zweieinhalbtausend Jahre alt ist. Raoul Schrotts Übersetzung hat eine archaische Wucht. Trotzdem ist sie sehr heutig, im Gegensatz zu den bekannten altphilologischen Übersetzungen: Dort hat man immer das Gefühl, dass man einem ehrwürdigen Geschehen beiwohnt. Bei Raoul Schrott rückt dieser Krieg in seiner Rohheit beklemmend nahe. Und bei Schrott bekomme ich da einfach mehr mit als etwa bei Voss oder Schadewaldt. Das "Göttliche" an Homers Göttern ist - abgesehen von ihren Götterkräften -, dass alles Menschliche, alle guten und schlechten menschlichen Eigenschaften und Instinkte bei ihnen potenziert sind. Sie sind so was wie "der Mensch hoch drei". Außerdem gibt es kaum jemanden, der so genau mit Sprache umgeht wie Schrott. Er kennt Versionen der Originaltexte, schaut, wie die Übersetzungen damit umgegangen sind. Er selbst belässt dann das Archaische und die damalige Mentalität und führt das ganze konsequent ins Heute.
Frau Hobmeier ist Ihre Co-Leserin. Kann sie in die patriarchalische Männerwelt der Ilias einen Gegenakzent bringen?
Auf Brigitte Hobmeier, ihre Sprachkunst und Sprachfreude freue ich mich sehr. Naturgemäß geht es in der Antike auf dem Schlachtfeld sehr patriarchalisch zu. Aber auf der Götterebene mischen sich gerade die Göttinnen genauso eifrig in den Kampf ein wie ihre männlichen Kollegen im Olymp. Und nicht nur aus der Ferne, sie kämpfen auch selber mit. Athene hilft Achill zum Beispiel ganz konkret beim Kampf gegen Hektor. Der kämpft eigentlich gleich gegen zwei.
In München gab es in den 80ern und 90ern berühmte Homer-Lesungen von Rolf Boysen und Thomas Holtzmann als Zeugen des klassischen Bildungsbürgertums. Ist diese Schicht ausgestorben?
Nein, sonst wären ja zum Beispiel unsere Lesungen nicht so gut verkauft. Mit Boysen und Holtzmann habe ich von 1986 bis 91 in "Troilus und Cressida" auf der Bühne stehen dürfen. Wieviel ich dabei gelernt habe, hab ich erst später begriffen. Bildungsbürgerlich würde ich diese Homer-Lesungen aber nicht unbedingt nennen, - vielleicht eher das Publikum. Ja, das Publikum, das sich in dieser Zeit dafür interessiert hat, war bildungsbürgerlicher als heute - aber nicht nur im schlechten Sinne. Ein großes Manko, dass man das heute so gut wie nicht mehr in den Unterricht einbezieht: Das bedeutet einen europäischen Identitätsverlust, auch in der kritischen Betrachtung. Denn es geht ja darum, die Menschen unserer Tage in die Wiege unserer europäischen Kultur hineinschauen zu lassen. Wenn man sich die Bilder und Metaphern anschaut, die Achill und seinesgleichen verwenden, kommen einem die manchmal sehr agrarisch vor. Man hat das Gefühl, das waren Bauern, die aufeinander eingeschlagen haben. Dieses Phänomen zieht sich übrigens bis ins späte Mittelalter. Die haben auch in wilder Expansionswut aufeinander eingehauen, sich gegenseitig ausgelöscht, und wir heroisieren diesen Umstand historisch immer noch.
Lesung: Homer, "Ilias", Künstlerhaus am Lenbachplatz: Samstag, 24. Februar, 19.30 Uhr (Restkarten an der Abendkasse) und Sonntag, 25. Februar, 17 Uhr, Karten zu 59 oder 49 Euro (erm. 29,50 und 24,50 Euro) unter www.kuenstlerhaus-muc.de und an der Tageskasse.
Die Übersetzung der "Ilias" von Raoul Schrott ist als Taschenbuch im Fischer Verlag (672 Seiten, 30 Euro) erschienen
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