Tina Laniks Inszenierung der "Drei Schwestern" von Anton Tschechow

Das Kreisen um die leere Mitte: Anton Tschechows "Drei Schwestern", inszeniert von Tina Lanik im Residenztheater
von  Michael Stadler

Anton Tschechows "Drei Schwestern", inszeniert von Tina Lanik im Residenztheater

Wer Geschwister hat, kennt wohl die Kämpfe darum, welchen Platz man in der Familie einnimmt, welchen Freiraum man hat, auch, was die lebensbestimmenden Entscheidungen angeht. Andrej muss sich da schon ein abgelegenes Waldstückchen am Bühnenrand suchen, um ungestört seiner Natascha ein Liebesgeständnis, schließlich einen Heiratsantrag zu machen. Doch von wegen Zweisamkeit: Seine drei Schwestern schauen als geschlossenes Trio von der Mitte aus skeptisch zu.

Natascha, die Frau im Glitzerkleid, ist ihnen ein Dorn im Auge. Und ihr Bruder, der dickliche, unzureichende Ersatz für den toten Generalsvater, bedarf ihrer Bemutterung. So stopft ihm die älteste Schwester Olga bei seinem ersten Auftritt das Hemd in die Hose und zippt ihm sogar ungeniert den offenen Reißverschluss zu.

Wie die Beziehungen im Tschechowschen Kreisverkehr der Daseinsverlorenen aussehen, arbeitet Tina Lanik in ihrer Inszenierung der „Drei Schwestern“ im Residenztheater schön heraus. Die Positionierungen mögen wechseln, das Leben aber ändert sich nicht wirklich. Gegen Ende steht Andrej (Shenja Lacher) hinter seinen Schwestern, die auf der Rampe sitzen, und will von ihnen wissen, was sie gegen ihn und seine Ehefrau (Katrin Röver) haben. Da hat er wegen seiner Spielschulden längst eine Hypothek aufs Haus aufgenommen und die finanzielle Zukunft der Familie ruiniert. Die Schwestern antworten nicht, aber sie haben schon gewusst, dass die Abfahrt gen Moskau ein Traum bleiben wird.

Tanz um eine leere Mitte

Was zwischen dem Anfang und dem Ende passiert, ist tschechow-typisch ein vergeblicher Tanz von Kraft um eine leere Mitte, die alle irgendwie, möglichst mit einem Partner eigener Wahl, füllen wollen. Der Grad an noch vorhandener Hoffnung, der Drive zur Veränderung lässt sich dabei an den verschiedenen Altersstufen festmachen, was Lanik und ihre Schauspielerinnen klar vor Augen führen: Valerie Pachner spielt die jüngste Schwester Irina mit viel Lebensfreude, um ihre jugendliche Energie im fatalen Lauf der Ereignisse umso trauriger versickern zu lassen: Zwei aufrechte Männer (Thomas Lettow, Bijan Zamani) begehren sie, aber der eine, für den sie sich entscheidet, stirbt im Duell.

Von Beginn an liebesenttäuscht hingegen die mittlere, Mascha, von Hanna Scheibe im schwarzen Kleid als verbitterte Zweigchenzwirblerin gespielt, desillusioniert von ihrem Gatten (Johannes Zirner), dessen einst vermutete Souveränität sich während der Ehejahre ins Duckmäusertum gedreht hat. Ein wenig lässt Mascha sich vom älteren Oberst Werschinin (Markus Hering) auftauen, aber der philosophiert nicht nur über die Ungewissheit der Zukunft und Unmöglichkeit des Glücks, sondern lässt sie schließlich, als ob er seine Thesen beweisen wolle, verzweifelt allein zurück.

Was die Älteste, Lehrerin Olga, bislang an Rückschlägen erlebt hat, bleibt ihr Geheimnis. Aber Juliane Köhler, die ihren Körper eng macht, weitet einmal überraschend den Blick auf Olgas Innenwelt, wenn sie mit der alten Kinderfrau, bei Lanik auch Hobbyfotografin Anfisa (Barbara Melzl) einen intensiven Kuss austauscht.

Das Bühnenbild, ein Problem

Ein paar Freiheiten gönnt sich Lanik also in ihrer fast dreistündigen Inszenierung. Ihre drei Schwestern sollen, bei aller Gebundenheit an die Männer, auch eigenständige Frauen mit starker Willenskraft sein. Dem langsamen Fluss der Dinge bei Tschechow weiß sie jedoch keine mitreißende Strömung zu geben. Ein Problem allein schon ist Stefan Hageneiers Bühnenbild: Das Wäldchen aus eingetopften Bäumchen, die um aufgestapelte Paletten in die Höhe wachsen, mag symbolisch für die allzu stark verwurzelten Geschwister stehen, als auch für die Verhältnisse, die den Menschen buchstäblich über den Kopf wachsen. Als Spielfläche bleibt der Raum jedoch so offen, dass das Spiel sich darin verläppert. Von Bewegungsunfreiheit und Lebensenge erzählt dieser Wald wenig, sondern macht ständige Auf- und Abgänge notwendig. Und gibt, anders gesagt, die Freiheit, hinter Zweigen und Blättern abzutauchen.

Dass den Schwestern am Ende nur Arbeit, Arbeit, Arbeit übrig bleibt, mag man ihnen fast gar nicht abkaufen. Die Langeweile jedoch schon. Übrigens: Heute flieht man, der Theaterzuschauer, ja gerade in die Gartenarbeit. Ab in die Natur, raus aus der Stadt. Wie verschieden Sehnsüchte doch sein können.

Nächste Vorstellungen: Mo, 30.3., 19.30 Uhr, Di, 31.3. und So, 5.4., 19 Uhr. Karten Telefon 2185 1940

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