Thomas Schmauser geht, Matthias Lilienthal bleibt gelassen
Matthias Lilienthal über den Beginn der neuen Theatersaison an seinen Kammerspielen, über Rausch und Lederhosen und den Weggang von Thomas Schmauser aus dem Ensemble
Ohne Herzrasen ist er vor dem Herzkasperl-Zelt auf der Oidn Wiesn, das ja nach Jörg Hubes legendärem Herzkasperl-Dauerprogramm an den Kammerspielen benannt ist. Am Donnerstag geht die Saison 17/18 auch an den Kammerspielen los mit David Martons Inszenierung von Jack Kerouacs „On The Road“. So beginnt die dritte Saison der Intendanz von Matthias Lilienthal, nach zwei recht turbulenten Jahren. Entspannt wirkt Lilienthal dennoch beim Gespräch hier im Biergarten.
AZ: Herr Lilienthal, können Sie der Wiesn was abgewinnen?
MATTHIAS LIIENTHAL: Ja klar. Theater ist ja im Grunde auch ein einziges großes Fest. Ich bin doch dem Sinnlichen zugetan. Das sieht man mir doch an!
Lilienthal verweist auf seine Jeansjacke und sein rotes T-Shirt und lacht.
Am ersten Wiesn-Wochenende waren 600 000 Besucher da. Die Kammerspiele zählten in der letzten Saison insgesamt 150 000 Zuschauer. Wie lässt sich das ausgleichen?
Indem man mit einer Inszenierung auf die Wiesn geht. Das macht doch jedes Jahr Christian Stückl mit seinem Volkstheater, mit dem „Brandner Kaspar“. Da würde ich gerne mal dazu stoßen.
Ich nehme an, wenn überhaupt, dann gehen Sie ins Herzkasperl-Zelt?
Nein, ich war schon in anderen Zelten. Wie dem Theaterkollektiv Rimini Protokoll gefällt es mir, die eigene Umgebung als eine fremde wahrzunehmen. Das geht in den anderen Zelten natürlich besser.
Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie Sie auf dem Tisch stehen und „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ singen. Fällt schwer.
Das mache ich auch nicht. Auch bei Premierenfeiern haue ich immer schon um Mitternacht ab. Ich bin nicht jemand, der durchfeiert. Im Grunde bin ich sowieso immer derselbe. Der Witz bei mir ist, dass ich zu Herrn Seehofer mit der gleichen Geste und den gleichen Klamotten hingehe wie zu dem Penner unter der Reichenbachbrücke. Dass ich mich konstant halte und nur durch verschiedene Umgebungen collagiert werde. Es gibt Situationen, wo ich durch diese Konstanz total auffalle! Ich lernte mal bei einem Empfang im Kultursenat den einstigen Kulturstaatsminister Bernd Neumann kennen. Der guckte mich ständig an, weil er nicht fassen konnte, dass ich mit Jeansjacke und T-Shirt rumsaß.
Verstehe. Sie sind so eine Art schwarzes Loch.
Genau. Es gibt aber auch Umgebungen, wo meine Kleidung und ich nicht so auffallen.
Haben Sie diesen Look irgendwann mal bewusst kreiert?
Nein. Meine Verkleidungslust ist nur gesunken. In den Neunzigern an der Volksbühne habe ich noch zu Premieren Jacketts angezogen. Am HAU war es dann nicht mehr nötig. Und seitdem ist es so.
Haben Sie jemals eine Lederhose angezogen?
Das, was ich gerade anhabe, ist doch eine Tracht! Aber es gibt auch Fotos mit mir in Lederhosen: als Vierjähriger. Meine Eltern waren fanatische Allgäu-Urlauber, wir gingen oft nach Missen, das liegt zwischen Isny und Immenstadt. Sie haben uns da auf den Misthaufen geworfen und passend zur Umgebung angezogen. Wir fanden das als Kinder sehr lustig. Wir lebten ja in West-Berlin, die Mauer stand. Dazu gab es die DDR-Grenzerfahrungen, die waren in den 60er-Jahren noch ziemlich herbe.
Wie lange haben Sie eigentlich insgesamt in Berlin gelebt?
Ich bin 57 Jahre alt, davon war ich bestimmt 50 Jahre in Berlin. Die Ausnahmen waren dreieinhalb Jahre Dramaturgie bei Baumbauer in Basel, meine Zeiten als Programmdirektor beim Festival Theater der Welt in Köln, später in Mannheim und meine Arbeit mit jungen Künstlerin in Beirut.
Dann ist ja Ihr Aufenthalt in München ein totaler Kulturschock.
Für die Münchner oder für mich?
Für beide.
Also, durch meine Allgäu-Besuche war ich hinsichtlich Bayern ganz schön eintrainiert. Insofern hatte wohl eher München einen Schock, ein bisschen zumindest.
Aber die Krisengerüchte sind doch abgeflaut.
Aber Sie wollen doch eine kleine Krise machen, habe ich gehört.
Mir ist aufgefallen, dass Thomas Schmauser auf dem Cover des „IN München“ zu sehen ist – als Ensemblemitglied des Residenztheaters! Jetzt macht er noch „On The Road“, die Eröffnungspremiere an Ihrem Haus. Ab Oktober ist er am Resi und probt „Richard III“.
Das ist ein wenig schizophren: Er fühlt sich gerade in der Produktion von David Marton sehr wohl, aber er will auch mal was anderes machen. Dass bestimmte Leute kommen und bestimmte Leute gehen, gehört aber einfach…
Die Bedienung unterbricht das Gespräch. Nimmt die Bestellung auf: zwei alkoholfreie Bier. Lilienthal will zudem ein Backhendl bio. Die Bedienung zieht weiter. Die Blaskapelle beginnt zu spielen.
Und bald müssen Sie auf ihren Chefdramaturgen Benjamin von Blomberg und Hausregisseur Nicolas Stemann verzichten. Beide übernehmen 2019 die Intendanz im Schauspielhaus Zürich.
Ja, aber Christopher Rüping ist weiterhin Hausregisseur. Und Nicolas Stemann macht weiterhin eine Produktion im Jahr. So viel verändert sich da nicht.
Und Sie sind auf der Suche nach einem neuen Chefdramaturgen?
Ja, ich spreche momentan mit einer Reihe von Leuten. Ich empfinde das nicht als dramatisch.
Bringt Sie denn nichts aus der Ruhe?
Ne.
Die Bedienung kommt schneidig heran mit Bier und dem Biohendl.
LILIENTHAL: Ich zahl alles.
Das ist lieb. Ich revanchier mich mit positiven Kritiken.
Das dürfen Sie doch nicht.
Stimmt.
Die Bedienung geht. Anstoßen. Ein Mann in Lederhosn kommt am Tisch vorbei, begrüßt Lilienthal. Lederhosen-Mann: „Andreas, grüß di, Servus!“. Lilienthal grüßt zurück. Der Mann geht weiter. Lilienthal isst weiter.
„Andreas“? Sie haben noch eine zweite Identität?
LILIENTHAL: Das ist der Chef-Ober vom Fraunhofer. Er begrüßt mich immer mit Andreas. Er hat wohl den falschen Vornamen abgespeichert.
Die Kapelle spielt nun ein „Prosit der Gemütlichkeit“ und jetzt: Die Krüge hoch! Die Krüge hoch! Die Krüge hoch!.
Ist Ihnen diese Art von Veranstaltung wirklich nicht suspekt: die Dirndl, die Musik, das Saufen?
Nö, ich gucke mit sehr viel Wohlwollen darauf, wie die das hinkriegen.
Also mit Distanz.
Eine Distanz ist da. Aber wie gesagt: Abends trinke ich ab und zu ganz normal ein Bier. Obwohl ich im leicht angesoffenen Zustand immer noch weiß, was ich sage. Ich hatte auch noch nie einen Filmriss. Ist ja vielleicht schön, so ein Filmriss. Das probiere ich dann mal am Ende meiner Münchner Zeit aus.
Wann wird das sein?
Keine Ahnung. 2020 oder 2025 oder 2030... Ich habe übrigens vorhin im Herzkasperl-Zelt Cem Özdemir getroffen. Der war mit seiner ganzen Entourage da und hat sich gefreut, mit mir ein Foto zu machen. Wir sind ja befreundet.
Das heißt, Sie wählen grün?
Ach, jetzt habe ich ganz vergessen, was ich gewählt habe.
Sie haben also schon gewählt. Und Ihr Tipp: Wer wird’s?
Ich habe einen Albtraum: dass Christian Lindner in der Regierung sitzen wird und dass er vor lauter Konzipieren seiner Werbekampagne ganz vergessen hat, in sein Grundsatzprogramm zu gucken. Da steht zum Beispiel: völlige Liberalisierung des Wohnungsmarktes. Ich fürchte, dass es CDU/CSU-FDP wird.
Lassen Sie mich raten, was Sie gewählt haben…
Also: CSU/FDP habe ich nicht gewählt.
Premiere: „On the Road“ inszeniert von David Marton, am Donnerstag, 28. September, 19 Uhr. Weitere Vorstellungen, Fr., 29. 9., 20 Uhr, sowie 1., 8., 15. und 25. Oktober, Karten unter Telefon 233 966 00