Theater als Konzeptalbum
Der Autor: Ein Antisemit, Rassist und Faschist. Warum beschäftigt sich ausgerechnet der ausgewiesene Linke Frank Castorf mit einem problematischen Autor wie Louis-Ferdinand Céline? Da grinst der Regisseur: „Das ist so eine Linie, wenn man Richard Wagner macht, muss man danach ja auch B sagen.”
Im Sommer hat Castorf in Bayreuth Wagners „Ring des Nibelungen“ inszeniert. Am Residenztheater nimmt sich der Langzeitintendant der Berliner Volksbühne nach Horváths „Kasimir und Karoline” nun mit Célines Roman-Erstling einen Prosatext vor. In „Reise ans Ende der Nacht” erzählt der französische Autor und Arzt (1894 - 1961) die Geschichte des mit autobiografischen Zügen ausgestatteten Antihelden Bardamu.
Nach dem traumatischen Erlebnis des Ersten Weltkriegs führt dessen Lebensreise nach Afrika, in die USA, schließlich landet er als Arzt unter den Armen der Pariser Banlieue. Es ist ein sprachlich und formal innovativer Text, der bei seinem Erscheinen 1932 schockierte und begeisterte.
Was ist also von dem sprachgewaltigen Autor zu halten, der 1937 seine Sympathie für Hitler erklärte? „Céline war zweifellos nicht richtig zurechnungsfähig – oder vielleicht doch?”, meint der Regisseur dazu. „Ich glaube, man muss alles zusammensehen, seine literarischen Werke und die antisemitischen Pamphlete. Das ist eine tragische Verwerfung. Ist das nun sein wahres Gesicht oder wird solche Literatur provoziert, wenn wenn man im Schützengraben gelegen hat? Ich weiß es auch nicht.”
Doch man müsse vielleicht einmal einen anderen Standpunkt einnehmen: „Alles, was politisch ist, nehmen wir nur aus dem Gesichtspunkt unserer unmittelbaren Gegenwart wahr. Und so sehen wir auch die Vergangenheit. Und das ist gelogen. Die Art, wie wir immer auf der Seite der Sieger sind. Aber so einfach ist die Welt nicht gewesen, das ist etwas, was man bei Céline lernen kann.”
Célines Texte faszinieren Castorf schon länger. Warum? Da ist zum einen Célines Sicht auf die Welt: „Dass er in einer Zeit, die in eine bestimmte Richtung der Vernichtung rast, sich so dem Leben zum Tode zuwendet, ist ziemlich einmalig. Céline ist ein Spucker, ein Kotzer. Einer, der eine Krankheit feststellt und sie schonungslos formuliert.” Und dann blitze „unter dem ganzen Schrott” manchmal auch die Menschlichkeit auf.
Das wäre auch für heute eine Haltung, meint Castorf: „Das Bigotte in der Zeit, in der wir leben, das ist es doch, was einen ankotzt. Wenn ich heute sehe, dass da Menschen im Mittelmeer schwimmen, dass wir fast in einem Orwellschen Staat leben: Die Wut kann man auf verschiedene Weise zeigen. Wenn man die Möglichkeit hat, das mit Kunst zu tun, sollte man’s tun.” Der Regisseur begeistert sich auch für Célines Sprache: „Das ist Rotzerei, es ist Slang, er setzt die Sprache der Deklassierten gegen die französische Hochsprache, das Dreckige gegen das Schöne. Das ist wahnsinnig stark. Wenn man das laut liest, merkt man es besonders gut.”
Also ist der Roman wie gemacht für die Bühne. Was wird aus den über 600 Seiten zu sehen sein? „Mein Bühnenbildner Aleksandar Denic und ich sind vom afrikanischen Abenteuer ausgegangen, weil Afrika der Kontinent ist, der am verlorensten ist und am traurigsten. Aber man kann die ,Reise’ nicht ohne die Traumata des Ersten Weltkriegs erzählen. Deswegen kommt der vor, und andere Episoden auch. Es ist wie ein Konzeptalbum: Jeder Song hat den Geist des Konzepts und trotzdem eine Unabhängigkeit.”
Zwei Live-Kameras beobachten Bardamu und sein Alter Ego Robinson und das Ensemble bei seiner „Reise ans Ende der Nacht”. Das Bühnenbild: „Viel Plastik. Sehr detailgenau. Ein bisschen Hoffnung und die Hitze, für die man als Europäer nicht geboren ist.” Die Kostüme: brasilianisch inspiriert. Und die Schauspieler: „Ich habe versucht, sie zu überreden: Dass sie vom wohlgestalteten Ton weggehen und sich dem Abenteuer überlassen.”
Premiere heute, Donnerstag, 19 Uhr, im Residenztheater
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