Nora Abdel-Maksoud inszeniert ihr Stück "Doping" an den Kammerspielen
Fällt das Stichwort "Markt", durchfährt Ole und Jagoda Hagenfels-Jefsen-Bohn ein wohliger bis lustvoller Schauer. Beide haben nicht nur einfach ein Parteibuch der FDP, sondern sie sind Überzeugungstäter in der liberalen Sache. Ole ist Schatzmeister des Ortsverbands Wenningerstedt-Braderup auf der schönen Insel Sylt, seine Tochter Jagoda die Stellvertretende Vorsitzende und steht im anstehenden Wahlkampf auf dem zweiten Listenplatz. Die Partei hat ihr den smarten Lütje Wesel vor die Nase und auf Platz 1 gesetzt.
Wenn Vincent Redetzki als ehrgeiziger Lokalpolitiker der Freien Demokraten am Beginn der Vorstellung für eine Rede vor den Eisernen Vorhang tritt, scheint er ein Klon des jungen Christian Lindner zu sein.
Zwischenrufe wie er wolle aus Sylt "ein Alcatraz für Topverdiener" machen, bringen ihn erst richtig in Fahrt. Aber der souveräne Redner hat ein Problem, denn er leidet an Blasenschwäche. Wenn er sich einnässt, ist das auf dem eleganten hellgrauen Dreiteiler (Kostüme: Cleo Niemeyer-Nasser) nicht zu verbergen.
Der FDP-Politiker macht sich in die Hose
Als Autorin fasst Nora Abdel-Maksoud schon im Vorspiel ihr Thema in ein klares Bild: Der Macher von der Partei für Highperformer macht sich in die Hose. Als Regisseurin genießt sie den peinlichen Vorfall und den anschließenden Zusammenbruch des Wahlkämpfers als süffigen Auftakt einer schrillen Farce unter dem Motto: Wenn wir im Theater schon nichts tun können gegen die kleinste, aber lauteste Partei der Ampelkoalition, dann lachen wir sie wenigstens aus.
Die angeblich von der FDP finanzierte Privatklinik, in der Lütje Wesel behandelt wird, erweist sich als ein verrostendes U-Boot vor der Steilküste zur Versorgung gesetzlich versicherter Sylter. Solche überraschenden Wendungen gehören zum Markenkern Abdel-Maksouds. Ihre Komödie "Jeeps" über das Erben war ein Bestseller im Spielplan der Münchner Kammerspiele und das neue Werk "Doping" scheint, so lassen die Reaktionen des Premierenpublikums vermuten, ein ähnlicher Erfolg zu werden.
Aus Wut wird fulminanter Witz
Je wütender die 41-jährige Theatermacherin über das wird, was sie schreibt, desto lustiger werden ihre Texte und desto aufgedrehter, lauter und schneller geraten ihre Inszenierungen. Da gibt es die ehemalige Entbindungspflegerin Gesine (Eva Bay), die die Patienten nur durch Umarmung heilt, in dem sie die Gebrechen in sich aufnimmt. Angesichts des Zustands der medizinischen Versorgung wäre das eine kostenmäßig interessante Therapie. Doch aus der aufopferungsvollen Kümmerin wird eine entschlossene Klassenkämpferin gegen den "Wachstumsfetisch" neoliberaler Politik. Jagoda (Safak Sengül) hat einst den "Mohnzutzler" erfunden. Mit Opium auf dem Schnuller sind die Babys ruhiger und die Mutter hat mehr Zeit, ihre Produktivität zu entfalten. Die hochschwangere Frau aus dem FDP-Milieu entwickelt sich gegen Ende zu einer erstaunlich radikalen Feministin: Sie will endlich bezahlt werden für Care-Arbeit wie das Austragen und die Aufzucht künftiger Steuerzahler.
Wiebke Puls begeistert als Dr. Bob
Der Titel "Doping" meint die Entfremdung der selbstoptimierten Selbstausbeuter von ihrer eigenen Körperlichkeit. Sogar Krankheiten sind hier Anlass zum Wettkampf: Schwangerschaftsmigräne gegen Depressionen, die "selbst ausgepinkelten" Nierensteine gegen "faustgroße Hämorrhoiden". Hauptsache, man bleibt effizient, denn Krankheit bedeutet Schwäche und Schwäche heißt Versagen. Was dann oft aussieht wie tumultuöse Klamotte, ist hochpräzise Komödiantik mit viel virtuosem Slapstick.
Es sind vor allem die fünf auf der von Moira Gilliéron trickreich entworfenen Bühne, die das dramaturgisch verwegene Polit-Kabarett zusammenhalten. Stefan Merki etwa ist als fundamentalistischer und doch stets jovialer Parteifunktionär Ole, der allerdings nicht vor Publikum sprechen kann, umwerfend witzig. Wiebke Puls entfaltet als nordfriesisch schnackender Chefarzt Dr. Bob eine Komik der Premiumklasse. Er ist an all den Gesundheitsreformen der letzten Jahrzehnte, die aus Krankenhäusern profitable Wirtschaftsunternehmen machen sollen, gescheitert und fasst in geradezu anarchistischer Gelassenheit die zentrale Forderung der Komödie zusammen: "Das Recht auf Schwäche".
Münchner Kammerspiele, 8., 15., 23., 24. April, Telefon 23396600