Sven Kemmler im Lustspielhaus: Die Grenzen der ach so heilen Welt
München - Werden wir gerade aus dem Paradies vertrieben? Überall heißt es: "Die Demokratie ist in Gefahr!"
Und das stimmt. Aber niemand konnte ahnen, wie viel Komik diese Entwicklung birgt. Folglich stellt sich Sven Kemmler selbstlos mitten in den aufziehenden Shitstorm und untersucht die Gefahrenlage an der - laut Eigenbeschreibung - allergrößten und allerfreiesten Demokratie des Universums: der USA.
Sven Kemmler: "Die Weltpolitik hat mal wieder nicht auf mich gehört"
AZ: Herr Kemmler, für Ihr neues Programm "Paradise Lost - Die Zukunft der Demokratie " hatten Sie sich thematisch tief in die USA gegraben - doch dann stürzte Ende Februar eine andere Weltmacht endgültig in die Hölle der Autokratie. Ärgerlich, was?
SVEN KEMMLER: Das können Sie aber laut sagen! Abgesehen davon, dass ich natürlich aus humanistischen Gründen gegen diesen Krieg bin, gab es in dem Fall auch sehr konkrete fachlich und egoistische Gründe, die gegen den Krieg sprechen. Aber die Weltpolitik hat mal wieder nicht auf mich gehört. Das Programm hat sich jetzt doch nochmal stark verändert. Vorher war es sehr USA-lastig, was es jetzt gar nicht mehr so ist, weil es gerade völlig andere Konnotationen hätte.
Kemmler: "Ich bin vorsichtshalber innerlich für Shitstorms gerüstet"
Wobei die Zukunft der Demokratie als Oberthema natürlich gerade höchst aktuell ist.
Das schon, aber zugleich ist die Gefahr groß, dass einen einige schnell als Nestbeschmutzer sehen, wenn man jetzt anfängt, an unserer Demokratie herumzukritteln - wo wir doch gerade glühende Demokraten sind. Ich bin mal vorsichtshalber innerlich für Shitstorms gerüstet.
Dem Cover-Foto, das Sie im Kapitol-Erstürmungs-Outfit zeigt, könnte man entnehmen, dass der Grundstein für dieses Programm im Washington des 6. Januar 2021 gelegt wurde.
Der wurde noch früher gelegt. Die Idee gärt schon länger. Das Kapitol war sozusagen der Auslöser. Nach dem China-Programm wollte ich mich ursprünglich Italien widmen: ein flockiges, leichtes Sommerprogramm - dann kam Corona, und gerade am Anfang - Stichwort Bergamo - war keinerlei Leichtigkeit in Verbindung mit Italien zu erkennen. Das Thema Demokratie war dagegen unter anderem dank den Querdenkern viel mehr im Fokus gewesen. Und dank der Kapitols-Erstürmung, klar.
Wo haben Sie dieses sagenhafte Outfit her?
Ich habe ein Schaffell und zwei Trinkhörner gekauft und das mit Gaffa-Tape auf meinen Motorradhelm montiert. Einen halben Tag hab' ich an dem Ding herum gebastelt.
Und so fahren Sie jetzt durch die Stadt?
Nein, ist schon wieder abmontiert. Das war mir dann doch zu riskant.
Kemmler fragt sich: Ist die Demokratie der Teufel oder das Paradies?
Mit "Paradise Lost", diesem Opus magnum von John Milton, haben Sie sich einen ganzen Kosmos an Spielmöglichkeiten geöffnet: Sündenfall, Vertreibung aus dem Paradies, Höllensturz der gefallenen Engel…
Das Werk hat ja eine wunderbare Zwiespältigkeit: der Lichtbringer, der bestraft wird. Ist die Demokratie der Teufel oder das Paradies? Werden wir raus geworfen aus dem Paradies oder gab es das Paradies nie? Oder gilt es erst noch dort einzuziehen? Ich mochte diese Vielschichtigkeit. Wer verführt wen? Und wie sieht es ein Betrachter: die Sicht anderer auf uns, den Westen. Was für ein Bild von uns ergibt sich in Asien? Da hat die ach so heile Welt schnell Grenzen.
Kemmler: "Ein ernster Quatsch, kein Zeigefinger-Programm"
Apropos: Welche Rolle spielt der "lupenreine Demokrat" (O-Ton Gerhard Schröder) Putin im Programm?
Er wird genannt, aber ihm wird nicht gegönnt, im Mittelpunkt zu stehen. Es soll ja kein Russland-Programm sein, es geht schon um unsere Demokratie. Es soll ein zeitloses Statement werden - und ein komisches, kein Fachvortrag. Ein ernster Quatsch. Kein Zeigefinger-Programm, auch nicht das klassische Kabarett-Muster Trump-Witz/ernster Satz/Merz-Witz/ernster Satz, sondern möglichst grundsätzlich und auf absurde Art mit demokratischen Strukturen und Mechanismen umgehen.
Eine Herausforderung angesichts der aktuellen Gefechtslage.
Ich habe noch nie so an einem Programm herum geschraubt, um es leicht zu kriegen. Ich hätte ein fünfbändiges Opus magnum in traurig, wütend und empört über das Thema verfassen können, darüber wie schlimm alles ist, aber das wäre dann ohne jeden Funken Komik, und das will man als Quatschmacher ja auch nicht.
Man kennt Sie ja nicht nur als Solo-Künstler auf der Bühne, sondern auch als Mann hinter den Kulissen, zum Beispiel als Regisseur des Ensembles der Lach- und Schießgesellschaft. Wie geht es denn mit dem weiter?
Die hatten jetzt endlich ihre Heimpremiere, als Streaming-Vorstellung, und freuen sich wahnsinnig darauf, wenn sie mal "in richtig" spielen können. Das Programm ist sehr schön geworden, zeitlos, aber relevant. Ich mag es richtig gern, habe mir die Heimpremiere angeschaut und gedacht: 'Wie schön, das Programm ist in der ganzen Zeit nicht gealtert oder inaktuell geworden!' Das ist ja über zwei Jahre hin ständig geschoben worden, aber man hatte nie das Gefühl 'Oh, das ist nicht mehr frisch, bisschen aus der Zeit gefallen'. Die drei hoffen jedenfalls, dass es weitergeht. Und grundsätzlich ist wohl auch schon angedacht, dass es zu weiteren Programmen kommen wird.
Premiere heute (Dienstag, 29. März, 20 Uhr) im Lustspielhaus, Karten ab 26 Euro über lustspielhaus.de. Weitere Termine stehen derzeit noch nicht fest