"Stiffelio" von Giuseppe Verdi im Arri-Studio - die AZ-Kritik

Wenn evangelische Fundis streiten: Die freie Operntruppe Opera incognita spielt die Verdi-Rarität „Stiffelio“ im Arri-Studio an der Türkenstraße
von  Robert Braunmüller

Ein evangelischer Geistlicher überreicht seiner untreuen Gattin die Scheidungsurkunde. Die aber möchte nun bei ihm beichten. Widerwillig hört Stiffelio als Seelsorger seiner eigenen Frau zu. Lina erklärt, dass sie gegen ihren Willen verführt wurde und gesteht ihm ihre Liebe. Und halb verfällt ihr auch der Pfarrer wieder.

Diese hochdramatische Szene war wohl der Grund, wieso Giuseppe Verdi das französische Drama „Le pasteur“ vertonte. Aber damit handelte er sich nur Ärger ein: Die österreichische Zensur wollte keinen verheirateten Pfarrer auf der Bühne des Opernhauses von Triest sehen. Die Uraufführung war im Jahr 1850 ein Misserfolg, und auch die Neufassung als „Aroldo“ stieß einige Jahre später auf Desinteresse.

Soll man Untreue verzeihen? Ja, mit Gottes Hilfe!

Der zwischen „Luisa Miller“ und „Rigoletto“ entstandene „Stiffelio“ ist eine der unbekannten Opern Verdis. Es ist ein Beziehungs-Kammerspiel, längst nicht so knallig wie die ähnlich unbekannten Risorgimento-Schinken „Attila“ oder „La battaglia di Legnano“. Der Chor tritt eher sparsam auf. Manche Szenen wirken mehr routiniert als inspiriert. Aber große Duett des zerstrittenen Ehepaars und der Verzeihungsschluss sind außerordentlich.

Lesen Sie auch das AZ-Interview mit Andreas Wiedermann zu "Stiffelio"

Es sind schon ärgere Werke erfolgreich wiederbelebt worden. Eins zu eins auf die Bühne gebracht dürfte die Handlung nur schwer genießbar sein. Allerlei heimliche Brieflein wandern hin und her. Und es sorgt für unfreiwillige Komik, dass öfter auf italienisch ein Herr Müller besungen wird: Das ist der Deckname, unter dem Stiffelio durch die deutschen Lande reist.

Verdi als Talkshow

Andreas Wiedermann, der Kopf von Opera incognita, hat dies durch eine Rahmenhandlung entschärft und zugleich zugespitzt. In seiner Inszenierung spielt dieser Ehebruchs-Krimi in der Gegenwart: bei den Proben zu einer Talkshow.
Und dafür hat er auch den richtigen Aufführungsort gefunden: Das Arri-Studio 2 in der Türkenstraße, wo das ZDF „Pelzig hält sich“ und „Die Anstalt“ aufzeichnet.

Es hat durchaus seinen Reiz, eine Fernsehdekoration einmal von nah zu sehen. Die auf dem Bildschirm so soliden Backsteine sind in Wahrheit vergänglich wie jedes Theater: aus Holz und Pappe.

Noch vor der Ouvertüre begrüßt eine aalglatte Blondine das Publikum auf italienisch zur Talkshow „Europa oggi“. Man darf Klatschen, Lachen und Betroffenheit üben. Und das Thema des Abends wird auch gleich bekannt gegeben: „Glaube und Zweifel: Die Rückkehr des christlichen Fundamentalismus“.

Ein seitlich zugespieltes Video verdeutlicht, dass damit auch andere fanatische Buch-Religionen wie der Islam gemeint sind. Wiedermann hat die Protestanten, die in Verdis Oper mit Rücksicht auf die Zensur zu fiktiven „Ahasverianern“ wurden, jetzt in eine evangelikale Sekte verwandelt. Und das funktioniert sehr gut, weil es die rigide Moral und den verbohrten Fanatismus der Figuren von Verdis Oper erklärt. Sonst wäre es schwer, das Drama dieses Ehebruchs heute noch glaubhaft zu erzählen.

Investigativer Journalist deckt Machtkampf in der Sekte auf

Die eingangs auftretende Blonde erweist sich im Lauf des Abends als Dorotea. Das ist eine jener aus musikalischen Gründen in den Ensemblenummern unvermeidlichen Mezzosopranistinnen, die normalerweise nur ein paar Stichworte liefern und ohne weitere Bedeutung für die Handlung herumstehen. Elisabeth Margraf trifft die glatte Unbedarftheit einer TV-Talkerin hervorragend. Sie war das Zentrum der deutsch übertitelten Aufführung, obwohl sie nur ein paar Noten hat.

Die junge Russin Anastasia Zaytaseva verkörpert die untreue Lina mit sehr klarem und ansprechenden Sopran. Torsten Petsch gibt ihren Vater Stankar recht markant. Dem Tenor Serban Constantin Cristache nimmt man den halbseidenen Verführer ebenso ab wie einen Revolverjournalisten. Und Martin Summer verdeutlichte mit grimmigem Gesicht schon beim ersten Auftritt, dass der Zweit-Prediger Jorg in Wiedermanns Inszenierung der eigentliche Bösewicht des Stückes ist. Die heikle Titelrolle singt der französische Tenor Olivier Trommenschlager. Wiedermann setzt ihn in einen Rollstuhl, um Linas Ehebruch noch ein wenig gemeiner zu machen. Leider ist Trommenschlager nicht ganz der Charismatiker, den Handlung wie Inszenierung von ihm abfordern. Und in die Premiere war auch nicht gerade sein Glückstag. Aber das mag sich in den Folgevorstellungen einrenken.

Das von Ernst Bartmann geleitete Orchester aus 10 Musikern ist gerade große genug für die sehr trockene Akustik des Studios. Es spielt nicht minder engagiert wie der wackere Chor. Die Schluss-Pointe kommt ein wenig überraschend: wie es sich bei einer Fernseh-Show gehört, als investigatives Zuspielband, mit dem ein sekteninterner Machtkampf aufgedeckt wird.

Alle Opernfans, die nicht durch Urlaub entschuldigt sind, sei gesagt: Wer „Stiffelio“ nicht kennt, kennt Verdi nicht ganz. Diese Oper sieht man nur einmal im Leben. Hier ist die optimale Gelegenheit. Sie kehrt so schnell nicht wieder.

Wieder morgen und 26., 28. und 29.8., 19.30 Uhr, Arri-Studios, Türkenstraße 91, Karten: Telefon 54 81 81 81 und Abendkasse

 

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.