Interview

Sterblichkeit macht kreativ

Claudia Bossard adaptiert Thomas Manns "Der Zauberberg" im Volkstheater
Michael Stadler |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Am Silvesterabend des Jahres 1900 ging das Sanatorium in Betrieb, nach gut 50 Jahren war es überflüssig geworden Tabletten heilten nun TBC. Aus dem Sanatorium, das Thomas Mann mehrfach in seinem Roman "Zauberberg" erwähnt, wurde ein Hotel.
picture alliance / dpa-tmn 3 Am Silvesterabend des Jahres 1900 ging das Sanatorium in Betrieb, nach gut 50 Jahren war es überflüssig geworden Tabletten heilten nun TBC. Aus dem Sanatorium, das Thomas Mann mehrfach in seinem Roman "Zauberberg" erwähnt, wurde ein Hotel.
Das Enseble des Volkstheaters in der Inszenieurng von "Der Zauberberg".
Gabriela Neeb 3 Das Enseble des Volkstheaters in der Inszenieurng von "Der Zauberberg".
Anton Nürnberg (Saaltochter) bedient Jakob Immervoll (Ludovico Settembrini) und Alexandros Koutsoulis (Leo Naphta) bei einem Abendessen auf dem Zauberberg.
Gabriela Neeb 3 Anton Nürnberg (Saaltochter) bedient Jakob Immervoll (Ludovico Settembrini) und Alexandros Koutsoulis (Leo Naphta) bei einem Abendessen auf dem Zauberberg.

Manche Dinge dauern nun mal ein bisschen. Thomas Manns 1000- seitiger Roman "Der Zauberberg" verschlingt zum Beispiel einiges an Lesezeit. Bei überschaubarem Inhalt: Der junge Hans Castorp besucht 1907 seinen Vetter in einem Lungensanatorium in den Davoser Hochalpen. Drei Wochen hat er dafür geplant, bleibt dann sieben Jahre lang. Was in dieser Zeitspanne passiert, erzählt Mann ausufernd detailliert. Der Roman erschien 1924, also vor 100 Jahren. Claudia Bossard adaptiert das Buch nun im Volkstheater.

AZ: Frau Bossard, Thomas Manns Roman untersucht unter anderem, wie unterschiedlich das Zeitempfinden sein kann. Wie kurz oder lang kamen Ihnen die Proben vor?

CLAUDIA BOSSARD: Wir hatten sieben Wochen. Mir kamen es wie sieben Jahre vor! Es ist so unheimlich viel passiert in dieser Zeit, es kam ja auch Weihnachten in die Probenzeit dazwischen, Neujahr, zudem mein Geburtstag und zwei andere Geburtstage, Momente also, die jeweils Lebensabschnitte markiert haben… Ich werde diese Zeit nie vergessen, weil ich auch so in diesen Roman hineingefallen bin.

Hatten Sie den "Zauberberg" schon früher mal gelesen?

Nein, wobei ich dazu Anlass gehabt hätte. Ich habe ursprünglich Literaturwissenschaft in Bern studiert, einer meiner Professoren war ein absoluter Thomas-Mann-Experte - an ihn musste ich jetzt auch immer wieder denken. Mit ihm bin ich durch die Thomas-Mann-Schule gegangen, aber vor dem "Zauberberg" hatte ich immer sehr großen Respekt. Das Buch ist ja auch streckenweise zäh zum Lesen. Als mich einer der Dramaturgen hier am Haus, Leon Frisch, anfragte, ob das Buch ein Stoff für mich sei, hat mich das sofort interessiert. Ich bin ja auch Schweizerin, die Gegend um Davos kenne ich gut. Ich habe mich dann in die Lektüre aufgemacht und war schwer beeindruckt, weil mir plötzlich auch klar wurde, woher die gesamte Kulturtheorie des 20. Jahrhunderts großenteils herkommt! Ich habe 2019 in Graz "Die Physiker" inszeniert und wusste plötzlich, woher Dürrenmatt seine Inspiration hatte!

Das Enseble des Volkstheaters in der Inszenieurng von "Der Zauberberg".
Das Enseble des Volkstheaters in der Inszenieurng von "Der Zauberberg". © Gabriela Neeb

Wie lässt sich der "Zauberberg" nun inszenieren?

Diese Frage hat mich auch stark beschäftigt: Wie wird man diesem Roman gerecht? Ich bin in die Proben nicht mit einem vollumfänglichen Konzept gegangen, sondern wir haben uns gemeinsam Schritt für Schritt auf die Reise gemacht, Positionen geschärft und aktualisiert. Es war mir wichtig, den Stoff gegenwärtig zu erzählen. Dabei mussten wir erstmal herausfinden, wer überhaupt erzählt. Der Roman switcht ja rasant in seinen Kamerafahrten, wechselt ständig die Perspektiven, gleitet manchmal unvermittelt in die direkte Rede. Es war allein schon eine große Arbeit, herauszufinden, ob Hans Castorp unserer Erzähler ist oder jemand anderes.

Und jetzt…

… gibt es keine einzelne Erzählinstanz. Das Ensemble spielt den Roman. Die Grundsituation ist das Sanatorium, mit Luise Deborah Daberkow als Hofrat Behrens und Nina Steils als Doktor Krokowski. Selbst wenn sie äußerlich wie Männer wirken, sind es letztlich zwei Frauen, die das Sanatorium leiten. Mit dieser Setzung bringen wir einen Hauptkern des Romans noch einmal mehr in Spannung, nämlich, dass Thomas Mann sich auf fast 1000 Seiten am Thema Männlichkeit abgearbeitet hat. Mich hat das sehr fasziniert, wie aktuell er schon damals toxische Männlichkeit als Problem verstand. Dabei spielte sicherlich sein eigenes Begehren, seine eigene Bisexualität in den Stoff hinein. Im Grunde ist Thomas Mann einer der ersten queeren Autoren, wobei das, was damals verheimlicht werden musste, heute kein Tabu mehr ist. In unserem Versuch, gegenwärtig zu sein, haben wir das auch mitbedacht.

Indem das Sanatorium in weiblicher Hand liegt, werden vermeintlich männliche Fähigkeiten der Analyse - im Falle des Psychologen Krokowski der "Seelenzergliederung" - den Frauen zugeschlagen.

Genau. Die Frauen analysieren und diagnostizieren, sind in einer entspannten Hochstatus-Position, während vier Männer - Hans Castorp, sein Vetter Joachim, der Literat Ludovico Settimbrini und dessen Gegenpart Leo Naphta - krank sind und sich von ihnen als Patienten behandeln lassen.

Mit Madame Chauchat gibt es noch eine weitere Frauenfigur, in die Hans Castorp sich verliebt. Ist sie nicht ein ziemliches Klischeebild verführerischer Weiblichkeit?

Klar, erst baut Thomas Mann sie als verführerisches Bild und Projektionsfläche auf, aber es gibt diese Faschingsnacht, in der Castorp ihr seine Liebe gesteht und sie sich als sehr starke Frauenfigur entpuppt. Als eine Frau, die sagt: Die Krankheit gibt mir Freiheit. Sie gibt mir die Möglichkeit, so zu sein, wie ich sein will! Bei uns ist sie eine Königin der Nacht, eine Privatpatientin, die das Sanatorium vor allem zum Wellnessen nutzt. Diese heutigen Lifestyle-Themen kann man ebenfalls im Roman finden.

Thomas Mann schildert genüsslich die Routine der Patientinnen und Patienten, die in Liegestühlen herumliegen und herrschaftliche Mahlzeiten zu sich nehmen. Kann man diesen endlosen Zeitvertreib auf der Bühne spürbar machen?

Wir haben diesbezüglich viel ausprobiert und wollten uns auch erstmal Zeit lassen, um dieses System auf der Bühne zu etablieren, merkten aber dann, dass es doch spannender ist, wenn wir von Anfang an diese Situation etablieren, also dieses Warten und Einfach-Sein im Sanatorium voraussetzen. Natürlich müssen wir vieles, was im Roman passiert, komprimieren, aber mir wurde schnell klar, dass wir diese Geschichte nicht einfach auf ihre bloße Handlung herunterbrechen und leicht konsumierbar auf die Bühne stellen können. Stattdessen hatten wir das Gefühl, dass manche Situationen absichtlich in die Länge, an die Schmerzgrenze gehen sollten, dass wir fast mit der Langeweile arbeiten müssen.

Wie lange geht denn die Inszenierung?

Bei der ersten Gesamtprobe ging sie fünf Stunden. Wir haben aber jetzt noch mal zwanzig Seiten gekürzt und steuern auf eine Länge von dreieinhalb Stunden zu.

Und die Bühne…

…ist weitgehend leer. Wir haben im Spiel gemerkt, dass es oft spannender ist, auch mal Nichts zu sehen.

Ein Ausflug in ein weißes Nichts schildert Mann in dem berühmten "Schnee"-Kapitel. Da geht Castorp mit den Skiern in die Berge und gerät in einen Schneesturm. Lässt sich das szenisch umsetzen?

Ja! Den Schneesturm gibt es. Wir haben schon einige szenische Übersetzungen gefunden, wobei wir uns immer wieder fragen mussten, was wir aus dem Roman übernehmen wollen. Wieviel Naturbeschreibung funktioniert zum Beispiel auf einer leeren Bühne? Ich finde es wichtig, dass die Fantasie des Publikums mitarbeitet, dass sie angeregt wird. Aber es muss ein richtiges Maß haben.

Maßlos ziehen sich die Streitgespräche zwischen dem Humanisten Settembrini und dem auf Krawall gebürsteten Jesuiten Naphta. Was ist davon übriggeblieben?

Es war tatsächlich eine Heidenarbeit, diese Gespräche zu komprimieren, ich habe auch lange mit den Schauspielern über diese Stellen diskutiert. Mit Jakob Immervoll, der Settembrini spielt, kam ich unter anderem zu dem Schluss, dass der Humanismus eigentlich am Ende ist. Was bedeutet Humanismus heute noch? Sind das nicht leere Floskeln? Ich finde, das ist eine unheimlich traurige Position, wenn jemand heute die Fahne des Humanismus hochhält. Allein die ökonomischen Strukturen, in denen wir jetzt leben, machen ein globales humanistisches Konzept, wie Settimbrini es vertritt, unmöglich.

Anton Nürnberg (Saaltochter) bedient Jakob Immervoll (Ludovico Settembrini) und Alexandros Koutsoulis (Leo Naphta) bei einem Abendessen auf dem Zauberberg.
Anton Nürnberg (Saaltochter) bedient Jakob Immervoll (Ludovico Settembrini) und Alexandros Koutsoulis (Leo Naphta) bei einem Abendessen auf dem Zauberberg. © Gabriela Neeb

Ihm gegenüber hält Naphta einen gewaltvollen Umsturz der Verhältnisse für sinnvoll.

Ja, bei ihm musste ich doch einiges rausstreichen. Ich kann heute unmöglich einen Juden auf die Bühne stellen, der zum Jesuitentum konvertiert ist, sich die Diktatur des Proletariats wünscht und auf dem Weg dorthin eine Zeit des Terrors für notwendig hält. Da wäre man sofort beim heutigen Krieg in Israel, das wollte ich nicht. Die Frage aber, inwiefern es den Krieg braucht, um zu Frieden zu gelangen, haben wir stark herausgearbeitet.

Der Tod ist allgegenwärtig in dem Sanatorium und im Roman insgesamt. Thomas Mann ging es darum, dass man dem Tod "um der Güte und Liebe willen" in Gedanken nicht zu viel Platz einräumt.

Das würde ich im Kontext des Ersten Weltkriegs lesen, der am Ende des Romans ausbricht. Der Tod war in dieser Zeit allgegenwärtig. Gleichzeitig macht der Roman noch mal deutlich, dass der Tod in uns von Anfang an steckt. Der Zellenabbau, dem wir im Lauf des Lebens unterworfen sind, wird von Thomas Mann genau beschrieben. Und: Sobald der Mensch weiß, dass er sterblich ist, wird er kreativ. Da ist diese Angst in uns, weshalb wir uns angetrieben fühlen, etwas zu erschaffen, dass wir hinterlassen können. In dem Roman werden auch depressive Konzepte verhandelt, die uns auch heute beschäftigen. So, wie sich die Menschen im Sanatorium vor der Realität zurückziehen, sitzen wir heute vor unseren Bildschirmen, entziehen uns der Gesellschaft, drohen zu vereinsamen und werden schneller krank.

Das Theater erscheint da als heilsame Möglichkeit, den Tod zu vergessen - oder sich im Falle des "Zauberbergs" mit ihm auseinanderzusetzen.

Ja. Das Theater bietet die große Chance, dass wir uns mit diesen Themen beschäftigen, im Hier und Jetzt, in der Gemeinschaft.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.