Stefan Herheims Inszenierung von "Hoffmanns Erzählungen" - wahrlich ein Festspiel

Offenbachs „Hoffmann“ fordert in Bregenz dank Stefan Herheims Regie Technik und Publikum bis an seine Grenzen
von  Wolf-Dieter Peter

Vorhang in der letzten Strophe des Couplets von „Klein-Zack“: Die bühnengroße Treppe hakte und hätte die Verwandlung von Luthers Weinkeller hin zur Showtreppe für die von Hoffmann erneut herbeibeschworene Stella nicht ermöglicht.
Nach zehn Minuten Pause wiederholte der schwedische Tenor Daniel Johansson diesen schwelgerischen Ausbruch, hob die emotionale Spannungskurve damit auf das vorherige Niveau – und war über seine blendende Bühnenerscheinung hinaus bis zu seinem bitteren Ende ein stimmlich beeindruckender Sänger-Dichter.

Ein überwältigendes, mitreißendes Totaltheater

Das konnte für den außergewöhnlichen Rang des ganzen Abends stehen: Die gesamte Technik, der vielfach solistisch geführte Chor (Einstudierung: Luká Vasilek) und alle Solisten waren bis an ihre Leistungsgrenzen gefordert. Denn es ging nicht nur um raffinierte Spielzüge. Hoffmann fragt sich, ob er das „Spielzeug eines Traumes“ sei.

Daraus entwickelte Regisseur Stefan Herheim ein „Bewusstseinsstrom“-Theater, in dem Realität, Erinnerung, Sehnsuchtsvision, Alptraum, Hoffnung und Scheitern sich wie in einem trans- und poli-sexuellen Rausch-Traum durchdringen.

„Buh! Das hat nichts mit Offenbach zu tun!“ schallte es nach wenigen Minuten aus der ersten Reihe des Parketts, ein reifer Mann stand wütend auf, enterte die Bühne und forderte die echte „phantastische Oper“ von Jacques Offenbach: Dafür verwandelte er sich in den Rat Lindorf – es war Bariton Michael Volle als durchgängig wuchtiger Widerpart Hoffmanns.

Er wie sein Gegenpart, die reizvolle Muse (Rachel Frenkel), bespielten mehrfach das Parkett. Die Bühnenaktionen, die sich zu immer neuen Räumen auffaltende Treppe von Christof Hetzer, Projektionen auf den seitlichen Vorhängen und die szenisch ergänzenden Videos auf dem schwenkbaren Bühnenhimmel geben einen Eindruck von überwältigendem Totaltheater. Auch dank einem Jacques Offenbach (glänzend parodistisch: Christophe Mortagne), der mit seiner mächtigen Komponierfeder dirigierte und auch alle Dienerrollen übernahm – über die stupenden Kostümwechsel von Esther Bialas hinaus.

Mit den populären Nummern

Unterstützt wurde der positive Eindruck, weil der in Frankfurt zum Musiktheater-Dirigenten gereifte Johannes Debus mit den Wiener Symphonikern all dies mit trug. Er war sich mit Herheim einig, dass auch nach vielen Notenfunden nicht feststeht, wie Offenbach den letzten Akt vollendet hätte. Beide und Dramaturg Olaf Schmidt entschlossen sich, zwei traditionell erwartete Nummern hereinzunehmen: das 1904 in Monte-Carlo eingefügte Septett mit Chor, auch die 1905 in Berlin hereingenommene „Spiegel-Arie“, die beide nicht von Offenbach stammen. Daraus wurde eine theatralische Konfrontation mit den Klischee-Erwartungen des Publikums vom „reifenden Künstler“ – während der „erzählte Erzähler“ Hoffman im Venedig-Akt ja Kontrolle und Ich-Bewusstsein verliert.

Alle seine Träume wurden als Schein entlarvt: die Glitzerwelt des Cabarets um Stella, das Koloraturen produzierende Society-Püppchen Olympia, der tödliche Ruhm des Gesangsstars Antonia, die rettende Kraft der Kunst in Person der Muse. Letztere drei flossen im gleichen Glitter-Abendkleid und Blond-Perücke zum wahnhaft enttäuschenden Triple-Sex-Star Giulietta zusammen. Doch ihre Botschaft an den durch Ich-Verlust wie tot wirkenden Hoffmann und das nach all diesen „Idolen“ gierende Publikum lautete: „Groß durch die Liebe, doch größer noch durch Leid“ – Offenbachs Aussage „Das ist keine opéra comique, sondern ein ernstes Werk, absolut tragisch“ war erfüllt. Stumme Überwältigung, dann Jubelstürme, gewürzt mit wenig Buh. Ein Festspielabend.

Wieder am 26.7., 11 Uhr, 30.7., 3.8., 6.8., 19.30 Uhr

 

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