Interview

Spielen, bis der Zuschauer vom Stuhl fällt: Max Poerting über "Don Karlos" im Volkstheater

Das Volkstheater spielt Friedrich Schillers Drama in einer Inszenierung von Christian Stückl im Münchner Volkstheater.
von  Anne Fritsch
Ruth Bosung als Prinzessin von Eboli und Max Poerting als Kronprinz Don Karlos.
Ruth Bosung als Prinzessin von Eboli und Max Poerting als Kronprinz Don Karlos. © Arno Declair

Die Uraufführung von Friedrich Schillers Stück "Don Karlos" fand im Jahr 1787 statt. Und dennoch werden hier Themen verhandelt, die auch heute aktuell sind. Das Stück ist ein Generationendrama über Philipp II., der seine Macht mit Gewalt verteidigt, und seinen Sohn, der aufbegehrt und für Freiheit kämpft. Diesen jungen wilden Kronprinzen, Don Karlos, spielt Max Poerting.

AZ: Herr Poerting, wie ist Ihr Verhältnis zu Schiller, so im Allgemeinen?
Max Poerting: Ich bin generell so ein kleiner Sprachfetischist, deswegen mag ich Schillers Sprache sehr. All diese Bilder und diese Sprachgewalt, die aber auch zu deinem Feind werden kann, wenn du sie nicht so richtig durchsteigst. Dann sind das alles nur große Adjektive und Nomen, die belanglos werden können.

Christian Stückl, der Intendant des neuen Münchner Volkstheaters.
Christian Stückl, der Intendant des neuen Münchner Volkstheaters. © picture alliance/dpa

Wie würden Sie den Don Karlos, diesen Kronprinzen von Spanien, beschreiben? Was ist das für ein Typ?
Ein ziemlicher Heißsporn, würde ich sagen. Das wird ihm auch laufend vorgeworfen im Stück. Er ist ein emotionaler junger Mensch, der sich mit den verkommenen Strukturen am Königshof konfrontiert sieht und auch mit den strengen Regeln, die der Vater ihm vorgibt. Dazu kommt das große Problem der unglücklichen Liebe zu seiner Stiefmutter.

Die früher seine Verlobte war, bevor sein Vater sie geheiratet hat. Das ist schon auch ein starkes Stück, einfach die ehemalige Verlobte seines Sohnes zu heiraten…
Ja, da gehört schon was dazu. Da muss der König sich eigentlich nicht wundern, dass das zu Problemen führt. Don Karlos lässt das nicht auf sich sitzen. Er ist allen am Hof ein Dorn im Auge, gewissermaßen das freie Radikal in dieser Geschichte. In ihm keimen einige revolutionäre Gedanken, die durch seinen besten Freund, den Marquis von Posa, weiter angestachelt werden.

"Ich bin ein Fan von Schillers Sprache"

Er selbst ist ja eher nicht der Taktiker…
Nein, er ist ein Bauchmensch, würde ich behaupten. Einer, der aus einem heißen Gefühl heraus agiert und sich schnell für Sachen begeistern lässt. Er will etwas erreichen, aber sein Vater hält ihn klein. Er ist nicht der Sohn, den König Philipp gerne hätte. Das ist ein kompliziertes und festgefahrenes Vater-Sohn-Verhältnis mit ordentlich Konfliktpotential. Don Karlos fühlt sich wie ein Fremdling am Hof und unnütz, sagt dieses "23 Jahre und nichts für die Unsterblichkeit getan".

Schillers "Don Karlos" im Volkstheater.
Schillers "Don Karlos" im Volkstheater. © Arno Declair

Wie geht es Ihnen mit diesen großen Sätzen, die immer wieder im Stück auftauchen?
Da ist es tatsächlich ganz angenehm mit Christian Stückl als Regisseur, weil ihm diese Sprache halt so gar nicht heilig ist. Das hilft total. Wenn man da einen Satz nicht in den Mund kriegt, weil das heute eben niemand mehr so sagen würde und er die Geschichte nicht weiterbringt, dann schmeißen wir den raus. Ich bin wie gesagt ein großer Fan dieser Sprache, und der Christian kann mich da gut einfangen, wenn ich zu viel Pathos reinschütte und vergesse, um was es eigentlich geht in einer Szene. Ich glaube, so kommen wir viel besser an die wahren Konflikte heran statt uns in sprachlichen Figuren zu verzetteln.

"Don Karlos'" im Volkstheater
"Don Karlos'" im Volkstheater © Arno Declair

Wie würden Sie den Don Karlos einschätzen: Geht es ihm wirklich darum, politisch etwas voranzubringen? Oder will er nur sein Privatleben ins Reine bringen?
Ich glaube, dass das zweischneidig ist. Ich würde gerne zeigen, dass er nicht nur in seinem zermarternden Liebeskummer festhängt, sondern ein großes Bild von Freiheit, Gedankenfreiheit und Menschenrechten im Kopf hat. Aber er ist gefangen in den Umständen, in dieser Vaterbeziehung und seinem Unglück. Aber wenn es ihm direkt gelänge, in eine Agitation zu kommen, wäre es auch ein sehr kurzes Stück. Dann bräuchte es nicht 240 Seiten, und das ganze Drama dieses Umeinander-Ringens würde flöten gehen.

Eine sprachliche und inhaltliche Varianz reinbringen

Und wie schwierig dieses Ringen ist, thematisch und politisch auf einen Nenner zu kommen, merken wir gerade nach der Bundestagswahl auch.
Das Ergebnis dieser Wahl ist erschreckend. Und die Fragen, die wir uns stellen, werden auch im Stück verhandelt: Wo ist denn der kleinste gemeinsame Nenner? Wer hat welche Interessen? Das ist hochaktuell. Da hat der Schiller nichts an Aktualität verloren. Wir sehen da Menschen kämpfen für all das, was wir hier genießen können: Gedankenfreiheit, Meinungsfreiheit - und wir sehen, was für ein Kampf das war, diese Freiheiten zu etablieren.

Und wir setzen sie gerade wieder aufs Spiel.
Genau, weil wir sie für selbstverständlich halten. Aber das ist, wie wir am Sonntag gesehen haben, eben nicht der Fall.

Portraits und eine Portraitbüste Friedrich Schillers sind im früheren Arbeitsraum des Dichters im Schillerhaus in Leipzig zu sehen.
Portraits und eine Portraitbüste Friedrich Schillers sind im früheren Arbeitsraum des Dichters im Schillerhaus in Leipzig zu sehen. © picture alliance/dpa

Man kann das Stück auch als das Drama eines tödlichen Generationenkonflikts lesen. Ein junger Mann, der gegen seinen autoritären Vater aufbegehrt und am Ende wohl dafür hingerichtet wird.
Der König hat als Autokrat die Möglichkeit, das durchzusetzen. Und das ist in diesem System legitim. Da ist eine sehr triste Bilanz. Und es wird deutlich, dass es ganz viele menschliche Animositäten sind, die zu großen und folgenschweren Entscheidungen führen.

Da ist wenig Verantwortung spürbar für das Amt, das einer innehat.
Auch das ist ziemlich aktuell. Ich habe nicht immer das Gefühl, es geht wirklich darum, das Beste für die Leute zu machen. Und was dieses Beste wäre, da ist sich auch niemand einig.

"Die Auswirkungen der menschenverachtenden Politik des Königs sieht man nur am Rande"

Ich finde es ärgerlich, dass es kaum mehr möglich scheint, sich parteiübergreifend auf grundlegende Werte zu einigen.
Es sollte doch zum Beispiel klar sein, dass man Menschen nicht im Mittelmeer ertrinken lässt. Es irritiert mich, wenn solche Fragen an wirtschaftliche Interessen geknüpft werden. Da sind viele sich selbst näher als irgendwelchen gesichtslosen Menschen, die auf der Flucht sind. Das ist auch bei Schiller so: die Auswirkungen der menschenverachtenden Politik des Königs sieht man nur am Rande.

Sie haben zuletzt in "Früchte des Zorns" von John Steinbeck gespielt, jetzt die Hauptrolle in "Don Karlos". Sind Sie froh über diese verschiedenen Herausforderungen?
Ich schätze, dass hier am Theater sehr, dass man mit vielen verschiedenen Aufgaben betreut wird, die eine sprachliche und inhaltliche Varianz reinbringen. Es gibt hier keine festgefahrene Rollen oder Stereotypen, sondern eine große Offenheit in der Besetzung und eine große Wertschätzung für junge Künstler. Und bei Christian Stückl habe ich einfach ganz großes Vertrauen, dass er weiß, wie und was er mit einem Stück erzählen will.

Das Volkstheater hat auch ein treues und neugieriges Publikum.
Wir haben ein ganz tolles Publikum durch alle Altersschichten hindurch! Und ich freue mich immer, wenn Theater dieses Elitäre verliert und nahbar wird.

Was reizt Sie am Theaterspielen?
Das Unmittelbare, manchmal Zwingende. Man kann nicht abbrechen wie bei einem Filmdreh, man muss durch den Abend durch und kann eine Reise vollziehen mit einer Figur. Man spürt, ob die Leute im Publikum dabei sind, das ist eine schöne Wechselwirkung, die auch ein bisschen süchtig machen kann. Und der Live-Moment ist eine tolle Motivation für mich: Die Leute schenken uns Zeit, und wir können sie im besten Fall aus dem Alltag rausholen und ihnen eine gute Geschichte erzählen. Als ich mit meinem Kollegen Julian Gutmann letzte Spielzeit in der Premiere von "Die Zofen" saß, ist er unmerklich immer weiter auf seinem Stuhl nach vorne gerückt, immer näher ran ans Geschehen quasi. Bis er irgendwann runtergefallen ist. Das ist toll. Natürlich zieht es einen nicht immer so rein. Aber es passiert: Theater kann elektrisieren.


Volkstheater, Premiere am Sonntag, 2. März, 19.30 Uhr, wieder am 6., 7., 16. und 30. März

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