Spiel mir das Lied vom Kot
Mephistophelisches Gelächter dringt durch das Tosen der Elemente: Das Schiff ist versenkt. Jetzt ist Zeit für die Abrechnung. Auftritt Prospero. Man erwartet einen älteren Herrn, vielleicht ein wenig vergrübelt oder so unterkühlt wie vor drei Jahren Manfred Zapatka im Marstall. Christian Stückl überrascht bei seiner Inszenierung von „Der Sturm“ mit dem erst 32-jährigen Pascal Fligg, der in gewickelten Guru-Look gehüllt ist und sehr sanft seine Rachepläne erwägt.
Vor zwölf Jahren war er Herzog von Mailand, fiel aber einer politischen Intrige zum Opfer und wurde mit seiner dreijährigen Tochter Miranda von seinem Bruder Antonio und Alonso, dem König von Neapel, vor der afrikanischen Küste ausgesetzt. Er rettete sich und das Kind auf eine Insel. Dort machte er sich mit magischen Kräften die dortigen Geister und Dämonen dienstbar. Zu denen gehört der Luftgeist Ariel, der bei der Herstellung des mediterranen Sturmtiefs mithalf und die Gestrandeten bis zum Wahnsinn über die Insel scheucht.
Eine Kreuzung aus Star-Wars-Alien und dem Puck in William Dieterles Verfilmung des „Sommernachtstraums“
Der 14-jährige Enno Haas wirkt in seiner Maske wie eine Kreuzung aus freundlichem Star-Wars-Alien und dem Puck in William Dieterles Verfilmung des „Sommernachtstraums“. Dem verschmitzten kleinen Kerl zuzusehen ist ein Vergnügen, vor allem wenn Ariel bockig ist. Auf Widerstand stößt der alleinerziehende Vater auch immer wieder bei Miranda: Carolin Hartmann spielt Papas Prinzesschen erfrischend unromantisch und ziemlich zickig.
Das Staunen des Teenagers, dessen Männerbekanntschaften sich bisher auf den Vater und den Sklaven Caliban (Timocin Ziegler) beschränkten, über den schönen Ferdinand (Jonathan Müller) weicht bald neugieriger Triebhaftigkeit. Miranda geht dem Königssohn entschlossen an die Wäsche. Solche „Liebesszenen“ sind charakteristisch für den „Sturm“ im Volkstheater. Christian Stückl suchte in dem unter die „Romanzen“ einsortierten letzten Schauspiel William Shakespeares vor allem die Anlässe für derbe Komik und fand sie reichlich.
Eine gesellschaftspolitische Vision vom Respekt vor dem Menschsein
Der mit nicht einmal zwei Stunden umwegelos durcherzählte märchenhafte Politthriller ist kein ganz großer Wurf, bietet aber solides Entertainment. Stückls Komplize ist dabei Ausstatter Stefan Hageneier, der auf der Bühne einen malerischen Schiffsfriedhof auftürmte. Hier gibt es Gelegenheiten zum lustigen Stolpern und clownesken Hinfallen, wovon vor allem der verheulte Alonso (Nicholas Reinke) hingebungsvoll Gebrauch macht. Überraschend jedoch wird unter dem Klamauk immer wieder die Tragweite einer gesellschaftspolitischen Vision vom Respekt vor dem Menschsein spürbar. Am Schluss lässt der bis dahin betont unentspannte Prospero lässig die Beine über die Rampe baumeln und plaudert, warm beleuchtet, mit dem Publikum über das Befreiende der Vergebung.
Für die Komikerjobs sind im „Sturm“ eigentlich Kapitän Stephano (Jean-Luc Bubert) und sein Bootsmann Trinculo (Jakob Geßner) zuständig. Vor allem Bubert zeigt fast akrobatische Kabinettstückchen in alkoholgesättigter Körpersprache, und beide hauen buchstäblich auf die Kacke: Stückl lässt die groben Seeleute nach einem unfreiwilligen Bad in naturalistisch gestalteter Jauche eine Improvisation über Begriffe fürs Fäkale abfeuern. Das ist schwerst albern und hemmungslos pubertär, aber eine Zeile wie „Spiel mir das Lied vom Kot“ ist leider gut.
Münchner Volkstheater, 2., 3., 8., 28., 29. November, 9., 14., 15., 25. Dezember, 7. Januar, jeweils 19.30 Uhr, Karten: 52 34 655