Sound-Revolution: Performances aus Südafrika in München

Kulturelle Identität in Tönen: Beim Spielart Festival sind gelungene Performances aus Südafrika zu Gast.
Michael Stadler |
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Mamela Nyama hat die Performance "De-Apart-Hate" entworfen.
Suzy Bernstein Mamela Nyama hat die Performance "De-Apart-Hate" entworfen.

München - Dass Musik in Südafrika eine identitätsstiftende Rolle spielt, ist keine Neuigkeit. Die Bilder und Töne, die dabei nach Europa durch Mainstream-Shows wie André Hellers "Afrika Afrika" herüberschwappen, tauchen vor allem bunt und beschaulich in den Exotismus ein.

Dazu noch "Hakuna Matata", das Sorgen-Frei-Mantra aus dem "König der Löwen"-Musical und schon hat man ein fröhliches Bild des Afrikaners, der sich den Kummer von der Seele singt und wegtrommelt, ja, gerne zum wegtrommeln genötigt wird, wenn man sich an den Gugelhupf essenden Herrn Tschabobo bei Gerhard Polt erinnert.

Als Tänzerin hat Mamela Nyamza unter anderem beim "König der Löwen" mitgewirkt, sie weiß also zur Genüge, was ein westliches Publikum an südafrikanischer "Happy-go-lucky"-Laune gewohnt ist. Eine ebensolche Heiterkeit verbreitet sie in der Muffathalle mit ihrem Kollegen Aphiwe Livi, wobei beide zu Beginn von "De-Apart-Hate" afrikanische Kirchenlieder vortragen, mitreißende Kirchenlieder, wie sie Mamela in ihrer Kindheit hörte.

Zwei Röhren dienen als Percussion, die zwei animieren zum Aufstehen und Mitklatschen wie bei einem Erweckungsgottesdienst. Hinter der Fröhlichkeit steckt aber eine ausgefuchste Strategie, um den atmosphärischen Bruch danach noch stärker zu machen.

Das Ringen um eine gleichberechtigte Balance

Denn bald gehen Mamela Nyamza und Aphiwe Livi zu einer regenbogenfarbenen Bank an der Seite, sitzen auf ihr wie gelähmt still, verfallen in eine Wartehaltung, die genauso charakteristisch für Südafrika ist wie der Kampf um Gleichgewicht, den die beiden dann mittels abrupter Positionswechsel und Schwerpunktverlagerungen entfesseln. Den Begriff der Regenbogennation prägte Menschenrechtler Desmond Tutu 1994 für sein Land nach der Apartheid, die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander wurde jedoch bitter enttäuscht. Stattdessen ein Ringen um eine gleichberechtigte Balance in der Bevölkerung, die jede Hautfarbe und sexuelle Orientierung umfasst.

Die Regenbogenbank wird auch zur Kirchenbank, auf der sie sich bekreuzigen oder auf der Mamela die Bibel durchblättert, Seite um Seite, das Buch als Feigenblatt vor ihren ausgebreiteten Beinen haltend. Im Lauf der Performance nennt sie die Nummern von Bibelversen – nachschauen muss man schon selbst, um zu entdecken, wieviel Ressentiment in ihnen steckt. Umgedreht wird die Bank zum Sarg – so genügt ihnen ein Requisit, um starke Bilder zu evozieren. Mamela Nyamza, die schon vor zwei Jahren bei Spielart auftrat, erweist sich erneut als großartige Performerin, die mit hintergründigem Charme und Wut im Bauch die Missstände in ihrer Heimat und die zwiespältige Rolle der Kirche diesbezüglich anprangert. Die Wirkung ist tatsächlich jene eines Erweckungsgottesdiensts: Man ist danach wacher.

Diverse Facetten afrikanischer Musik konnte man bislang bei Spielart erleben: Albert Khoza aus Johannesburg stimmte in "Influences of a Closet Chant" den Gesang eines traditionellen Heilers an, Jaamil Olawale Kosoko aus New York nutzt in "#Negrophobia" unter anderem die Kraft des Hiphop, um seiner Trauer und Wut, ausgelöst durch den gewaltsamen Tod seines Bruders, Ausdruck zu verleihen. Gabrielle Goliath aus Johannesburg ließ an zwei Abenden in der St. Johannes Kirche eine Gruppe von sieben Sängerinnen ein Klagelied zum Gedenken an jeweils ein vergewaltigtes, ermordetes Individuum aus Südafrika singen – das Lied bestehend aus einem eindringlich durchgehaltenen Ton.

Aus dem musikalischen Erbe Südafrikas schöpft auch Neo Muyanga in "Tsohle – A Revolting Mass", uraufgeführt im HochX. In den Songs jener Freiheitskämpfer, die in den 1970ern und 80ern in Camps weggesteckt wurden, stecken deutliche Anklänge an christliches Liedgut, weil die Revolutionäre zuvor Missionarsschule besuchten.

Eine eigene musikalische Sprache

Wie sich aus dieser postkolonialen Verwirrung eine eigene musikalische Sprache formen lässt, zeigt Neo Muyanga in einer betörenden Komposition, dargeboten von ihm selbst am Flügel, sowie zwei Sängern und einer Sängerin, die auch diverse afrikanische Instrumente spielen. Ein hypnotischer Sound zwischen Klassik und Jazz, Europa und Afrika entfaltet sich da. Wie essentiell Musik als Ausdrucks- und Verständigungsmittel für ihr Land ist, betonen Muyanga und sein Team auch danach beim Künstlergespräch. Und obwohl sie die Texte der Lieder für das Publikum nicht untertiteln: Ein Gefühl von revolutionärer Willensstärke und entschlossener Selbstermächtigung kommt an.


Das weitere Programm von Spielart bis zum 11. November findet sich unter www.spielart.org

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