„Socrate immaginario“ von Paisiello in der Reaktorhalle
Schon Johann Wolfgang von Goethe wusste, dass die Farbe Blau „etwas Dunkles mit sich“ führe. Laut seiner „Farbenlehre“ von 1810 wirken blaue Räume weit und zugleich leer oder kalt. Das passt vortrefflich zur Inszenierung der Oper „Socrate immaginario“ von Giovanni Paisiello, die jetzt Rosamund Gilmore für die Theaterakademie realisiert hat. In der Reaktorhalle an der Luisenstraße entwarf Verena Hemmerlein eine Bühne, die mit großen blauen Elementen arbeitet. Sie werden hin und her geschoben. In dieser blauen Reduktion bildet sich Don Tammaro ein, der zweite Sokrates zu sein. Mit seinem Wahn geht er allen gehörig auf die Nerven, allen voran seiner Familie.
Nun markiert dieser komische Dreiakter von 1775 gewiss nicht einen Höhepunkten unter den rund hundert Opern von Paisiello, aber: Eine originelle Regie kann auch das schlechteste Werk retten. Das ist Gilmore nicht gelungen, obwohl man es ihr zugetraut hätte, denn ihre Sicht auf die Oper „Tri sestri“ von Peter Eötvös im Prinzregententheater ist noch in bester Erinnerung.
Verwirrende Verwirrung
Statt den Humor von Paisiello feinsinnig einzufangen und durchzuführen, setzte die Britin jetzt mehr auf Abstraktion. Das machte das Verwirrspiel der Handlung noch verworrener. Nur die Kostüme von Hemmerlein waren etwas konkreter gehalten: antike Toga oder barocke Robe.
Damit brach Hemmerlein die blaue Reduktion ihrer Bühne auf. Sonst aber passierte nicht viel, allenfalls Zappeln und Hoppeln im Rhythmus der Musik. Damit wurde der Stoff noch banaler und alberner, was ohnehin eine große Gefahr dieser Produktion war.
Überspitzt bis zum Klamauk
Gespielt wurde leider nicht das italienische Original, sondern eine deutsche Fassung von Peter Brenner. Sie übersetzt nicht einfach das Libretto, sondern überspitzt die Sprache bis zur Unkenntlichkeit. Was bleibt, ist über weite Strecken hohler Klamauk.
Dabei war Paisiello für Gioachino Rossini ein „Genie des einfachen Genres und der naiven Anmut“. Sein „Barbiere di Sevilla“ ist genauso von Paisiello inspiriert wie Mozarts „Le nozze di Figaro“. Von dieser Kunst des subtilen Humors blieb in Gilmores Regie nicht viel übrig. Und so sitzt der durchgeknallte Don Tammaro, dargestellt von Irakli Atanelishvili, in einer blechernen Wanne: Sie steht mitten auf der Bühne, wird im Kreis herumgedreht oder hin und her geschoben. Mit einer Gießkanne steht sein Diener Calandrino (Bavo Orroi) bereit. In diesem Schaumbad entwirft Tammaro seine skurrile Traumwelt.
Aus dem einfältigen Meister Antonio (Carl Rumstadt) wird Plato. Er brennt für Emilia (Kathrin Zukowski), die Tochter Tammaros, die jetzt als Sophrosyne herhalten muss. Sie steht auf Ippolito (Jaeil Kim). Tammaro möchte seinerseits eine zweite Frau heiraten, ganz so wie sein Idol Sokrates: Cilla, die Tochter von Antonio (Pauline Rinvet). Seine eigentliche Frau, Natalya Boeva als Donna Rosa, hält Tammaro für die keifende, eifersüchtige Xanthippe. Am Ende trinkt Tammaro einen Schlaftrunk, den er für den tödlichen Schierlingsbecher hält: Er erwacht geheilt.
Kein starker Jahrgang
Leider präsentierte sich in dieser Produktion kein allzu starker Jahrgang. Zwar konnten vor allem Rinvet und Rumstadt darstellerisch überzeugen, allerdings wirkte auch ihr Gesang auf der Premiere etwas zu scharf und gepresst. Selbst der an sich helle, luzide Tenor von Kim blieb im Duktus mitunter sonderbar getragen. Eine stilgerechte Durchdringung des spezifischen Gesangs von Paisiello wurde kaum geboten.
Paisiello arbeitet mit gezügelter Expressivität und kunstvoller Schlichtheit, womit sein Vokalstil eigentümlich zwischen Spätbarock, Klassizismus und Belcanto changiert. Mit seiner reich verzierten Schärfe wirkt der spätere Belcanto Rossinis weitaus barocker. Für seine lyrischen Melodien wurde Paisiello allenthalben verehrt, auch von Beethoven. Dabei würzt Paisiello die reiche Kantabilität mit markanter Rhythmik im Orchester.
Überdies beschreibt die raffinierte Instrumentation wirkungsvoll die einzelnen Charaktere. Dieses kunstvolle Profil wurde unter der Leitung von Maria Fitzgerald nur bedingt verlebendigt: Die Musiker von Concerto München, ein junges Originalklang-Ensemble, hatten mitunter hörbare Probleme mit der Intonation, nicht immer präzise die Einsätze. Von der Theaterakademie ist man stärkere Produktionen gewöhnt.
Wieder heute (ausverkauft) sowie am 21., 23. und 25. Juni in der Reaktorhalle, Telefon 21851970