So war Dieter Schnebels Musikalisches Kammertheater "Utopien"
Ein bisschen Religionsunterricht im schwer angestaubten Experiment
Er hat Kluges über Giuseppe Verdi geschrieben, und die menschliche Stimme steht im Zentrum seines Komponierens. Der Körperlichkeit des Musik-Machens gilt Dieter Schnebel besonderes Interesse, und so lässt es sich verstehen, dass sich Peter Ruzicka für seine letzte Münchner Musiktheater-Biennale ein großes Haupt-, Spät- und Abschiedwerk erwartete.
Doch, leider: Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“, das Schnebel hier laut Programmheft versteckt vertont hat, es trog. Der 84-Jährige war noch nie ein Mann der großen Form. Und so zieht sich sein musikalisches Kammertheater „Utopien“ zäh über 90 Minuten. Als sei er Gott Vater höchstselbst, spricht der Komponist vom Band allerlei Biblisches. Gleich zu Beginn raunt jemand von „Glaube, Liebe, Hoffnung“. Das bleiben nicht die letzten Edelworte aus Theologie und Philosophie an diesem Abend.
Zur Illustration der Ur-Weisheit, dass der Weg das Ziel sei, laufen die Neuen Vocalsolisten Stuttgart im Kreis. Wenn sie später allerlei W-Fragen stellen, haben sie Puppen wie Tote im Arm. Die liegen nach der mehrfachen Blendung des Publikums mit Scheinwerfern wie ein Leichenhaufen bedeutungsschwanger herum (Regie: Matthias Rebstock). Lautgedichte werden vorgetragen, mäßig humoristische Szenen sorgen für eine gewisse Gliederung der hoch tönenden Beliebigkeit. Der Kanon „Bruder Jakob“ erklingt verfremdet, dann erhebt sich der Sopran über einem begleitenden Ensemble.
Der dem Spirituellen Zugeneigte wird vieles Gefällige finden, der Agnostiker aber wendet sich gelangweilt ab. Einen kurzen, bewegenden Moment gibt es auch, wenn Sopran und Tenor ihre Lippen fast zum Kuss nähern und die Töne durch das Flattern der Backen zum Vibrieren bringen. Aber sonst: Es riecht nach Religionsunterricht und dem guten alten Experiment der siebziger Jahre. Und da drängt sich das Bibelwort auf: Alles hat seine Zeit.
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