So ist "La finta semplice" von Mozart in Nymphenburg

Bravo! Die Kammeroper München wagt sich frech an Mozarts Oper aus dessen Kindertagen: „La finta semplice“ im Hubertussaal
Adrian Prechtel |
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In prallen, wilden, amüsanten zwei Stunden ist alles erzählt – statt der dreieinhalb Stunden des Originals. Damals, 1768, gab es ellenlange Rezitative. Und die Musik der Arien wurde dauerwiederholt. Nicht etwa wegen begeisterter Da-Capo-Rufe, sondern weil das Publikum nur die Hälfte mitbekam. Man betrieb nebenher Konversation oder speiste. Und gelegentlich trieb’s man auch wirklich in der Oper.

Schnurrendes Kammerkätzchen und ein Hengst im Bett

Da das bürgerliche Publikum heute gesitteter ist, vielleicht kultivierter, jedenfalls aber brav aufmerksamer, haben die Macher der Kammeroper München radikal gekürzt. Und ehe man sich’s im Hubertussaal versieht, sind Arien vorbei und die Turbulenzen gehen weiter. Denn Mozarts „La finta semplice“, die „simple Finte“, ist hier weder musikalisch noch dramaturgisch einfach, dafür aber mitreißend und wirklich originell von Dominik Wilgenbus inszeniert.

In komischen Opern gibt es meist zur Herrschafts- eine Parallelhandlung auf Dienerebene. Die Galanterie der oberen Zehntausend verhindert, was im Volk derber verhandelt werden kann. Die Kammeroper-Version hat die Hausangestellten in Haustiere verwandelt.. Da schnurrt im Zofenkleidchen das Kammerkätzchen zweier altjüngferlicher Pensionsbetreiberinnen: mal auf stimmlich schönen Samtpfoten bis hinauf zu klaren Lustkoloraturen.

Sie (Leonor Amaral) versucht den Hengst (Clemens Joswig) des Galans im Stück mal zart, mal hart ins Ehebett zu kriegen. Er aber macht klar: Es geht ihm um Spaß, nicht um Heirat!

Diese unbürgerliche, sehr aktuelle Betrachtung von Beziehungsfragen ist ein Trumpf der Wilgenbus’schen frechen, deutschen Fassung, die statt Arien und Rezitativen auch echte Sprechtexte verlangt.

Fantastische Sing-Schauspieler

Und das ist eine Stärke: Alle Sänger sind fantastische Schauspieler. Der erste Akt endet in einer bunten Massenschlägerei, die kein klassischer Slapstick-Film besser hinbekommt. Wobei – bei allem Amüsement – die Regie niemals in Klamauk abdriftet.

Diese feine Linie nicht zu überschreiten, war auch deshalb eine Kunst, weil der Mozart-Goldoni’schen Verwechslungs-Liebes-Komödie noch weitere Irrungen-Wirrungen eingeimpft wurden. Während das Rokoko hohe Stimmen bevorzugte und oft Männerrollen mit Alt oder Sopran besetzte, hat sich der musikalische Bearbeiter Alexander Krampe dafür entschieden, die beiden alten Pensions-Schwestern mit jungen Männerstimmen zu besetzen, um so ein größeres Klangfarbenspektrum zu haben.

Und hier bekommt die ursprüngliche Travestie – eine Frau verkleidet sich als Mann, um Liebesmechanismen auf die Probe zu stellen – noch weitere Facetten: Die prüde, missgünstige, herrschsüchtige Zimmerwirtin (Carl Rumstadt als wendiger Bass) versucht eine aufflammende Liebe ihrer sensibleren Schwester (Julian Freibott als expressiver Tenor) zu verhindern, diffamiert sie eifersüchtig als „nymphomane Zwiebel“, ehe sie selbst entflammt wird.

Bühnenbildner Peter Engel hat das Ganze auf ein u-förmiges Bühnenpodest gehoben, in dessen Mitte das zehnköpfige Kammerorchester dynamisch spielt, mit Gitarre intimisiert und durch ein Akkordeon nicht folklorisiert, sondern vor allem akustisch elegant unterfüttert. Um das alles so kompakt und publikumsnah hinzubekommen, arbeitet das Bühnenbild mit einer Stapelkistenwand, deren Elemente schnell zu witzigen Puppenkistenmöbeln werden können.

In dieser Dichte ist „La finta semplice“ ein wunderbares Erlebnis, dem alle Mozartschen Kinderkrankheiten ausgetrieben sind. Und wem das zu kurzweilig ist: Vielleicht kann man einige der schönen Arien wieder ein wenig verlängern. Durch begeisterte Da -capo-Rufe, die hier allemal fällig sind!

Bis 20.9., Sa, So, dann Mi – So , Hubertussaal, Schloss Nymphenburg, 19.30 Uhr (Einführung 18.30 Uhr), 25 bis 62 Euro, www.kammeroper-muenchen.de, Telefon 45 20 56 121 oder Abendkasse

 

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