So ist Goethes "Faust", inszeniert von Martin Kušej

Das Faustrecht auf Abenteuer und Kicks: Martin Kušejs Inszenierung von Goethes Klassiker am Residenztheater ist nur Orgie statt Sinnsuche
Gabriella Lorenz |
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Das Faustrecht auf Abenteuer und Kicks: Martin Kušejs Inszenierung von Johann Wolfgang von Goethe Klassiker am Residenztheater ist nur Orgie statt Sinnsuche

Das berühmte „Habe nun, ach“ fällt nicht. Werner Wölbern fragt als Erstes: „Ist das der Weisheit letzter Schluss?“ Das fragt man sich auch für den Rest der gut dreistündigen „Faust“-Aufführung, die Martin Kušej im Residenztheater inszenierte.

Er hat das Goethe-Drama in ein düsteres, brutales Heute versetzt und den deutschesten aller deutschen Theaterklassiker textlich so umgestellt und fragmentiert, dass man ihn zunächst fast nicht wiedererkennt. Er hat ihn in Puzzle-Teile aufgelöst, die sich aber auch im zweiten Teil nicht zum Bild fügen. Am Ende Jubel vor allem für Bibiana Beglau als androgyner Verführer Mephisto und Wölberns Durchschnitts- Faust sowie einige Buhs für den Regisseur.

Düster

Kušejs pessimistische Interpretation zeigt schon die Bühne von Aleksandar Denic: Ein zweigeschossiger, drehbarer Metallkubus von erlesener Hässlichkeit offenbart auf vier Seiten einen deprimierenden Grau-in Grau-Mix aus Zechen-Portal, Fabrik-Ambiente, Sportplatz-Käfig mit Drahtzaun, Disco, Glashaus und tristen Straßenfassaden mit Nutten- Schaufenstern. Darüber thront ein Kran. An dem wird irgendwann ein Pferdekadaver im Kreis geschwenkt als Bild für den Flug um die Welt.

Reichlich absonderlich und ohne Kenntnis der mit Hilfe des Dichters Albert Ostermaier entstandenen Bearbeitung auch nicht zu verstehen. Das hat man am Resi schon selbst gemerkt und stellt die Textfassung auch dem Publikum zur Verfügung.

Der frustrierte Bürohengst

Fausts Stube ist ein Waschbecken mit Spiegel. Da hockt nun ein Typ, der wenig von einem Forscher hat, mehr von einem frustrierten Bürohengst, der wütend und verzweifelt mal was Aufregendes erleben will. Seine Vision von sich als Weltveränderer – bei Kušej natürlich ein Weltzerstörer – folgt in der Philemon- und Baucis-Szene, die hier aus dem „Faust II“ eingefügt ist. Faust nennt das alte Paar seine Eltern, ihre Hütte und sie selbst lässt er dennoch für seine Baupläne gnadenlos abfackeln. Mit einer gewaltigen Explosion und riesigen Stichflammen: tolle Effekte. Regen darf bei Kušej auch nie fehlen: Aus dem Sprühnebel erscheint Mephisto wie aus dem Nichts. Bibiana Beglaus Präsenz dominiert sofort, ihre Vielgestaltigkeit ob als kühle Chansonette, spöttischer Verführer oder sexgeiler Teufe ist umwerfend.

Im Rätselspiel des ersten Teils montiert Kušej verschiedenste Szenen verfremdet zusammen. Die von ihm beschworenen Geister erscheinen Faust unter Drogeneinfluss in einer Disco, der Osterspaziergang gerät zur Sexorgie und danach zu einem Massaker mit Leichenhaufen.

Blut, Sex, Gewalt - alle Tagesaktualität muss rein in Kušejs Inszenierung. Nach der Pause deshalb auch Drogen-Bosse, mit deren Kokain-Schmuggel sich Faust eine goldene Nase verdient, sowie eine Djihad-Terroristen-Armee, für die Mephisto ein Kind mit Sprengstoff-Gürtel zum Selbstmord-Helden ausstaffiert. Diese beiden Abwandlungen aus „Faust II“ stehen hier völlig unverständlich auf der Bühne.

Schwache Liebesszenen

Nicht Weisheit sucht Faust, sondern – mit Faustrecht – mehr Abenteuer und Kicks. Ein Getriebener, Gefangener seines süchtigen Verlangens. Auch die Gretchen-Affäre ist nur ein Kick, der ihn danach schnell langweilt. Und bleibt in dieser plakativ vordergründigen Schwarz-Weiß-Inszenierung deshalb auch fast Beiwerk.

Was das mädchenhafte Gretchen von Andrea Wenzl an diesem Faust interessiert, ist ein Rätsel. Die Liebesszenen werden zerstört durch comicmäßige Gegenschnitte auf wildes Vögeln von Mephisto und Marthe (Hanna Scheibe muss eine vulgäre Prostituierte spielen). Selbst Wenzls wunderschönes „Meine Ruh ist hin“ wirkt hier als Fremdkörper. Es gibt keine zärtliche Nähe, keine Spannung – bei Faust ist alles nur nackte Gier. Da hätte auch die vorherige Kurzfassung der Hexe genügt. Silja Bächlis Hexen-Masturbation an Mephisto sorgt wenigstens für drastische Komik.
Aber am Ende muss Gretchen doch blutverschmiert verröcheln. Gretchen kaputt, Welt kaputt – ist das der Weisheit letzter Schluss?

Residenztheater, 8., 22. Juni, 18 Uhr, 6., 10., 26., 28., 29. Juli, 19 Uhr, Karten Telefon 2185 1940

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