So ist das wiederbelebte Ludwig-Musical

Stark anrührend mit leichten Schwächen: Die Neuinszenierung von „Ludwig²“ durch Benjamin Sahler im Festspielhaus Füssen
FÜSSEN - Es ist nicht die Aufgabe eines Musicals historisch korrekt zu sein. Denn wie hat Regisseur Benjamin Sahler erklärt: „Es geht um eine psychologische Wahrheit!“
Die ist im Falles Ludwigs allerdings sehr kompliziert. Aber das von Sahler für den Neustart umgestaltete Werk von Texter Rolf Rettberg und den Komponisten Konstantin Wecker, Christopher Franke und Nic Raine hat einen klaren Ansatz: Liebesentzug als Kindheitstrauma. Und so träumt sich Ludwig in seine Traumfluchten aus Kindheitstagen zurück: Die romantisierte Sage vom Gralsritter Lohengrin, die er gegen die Wirklichkeit seiner zankenden Eltern setzt.
Himmel, Asche und ein Regenbogen zur Gegenwart
Um das Publikum gleich auf die Seite des Stückes zu ziehen, ist hier die Berlinerin, Königin Marie (Stefanie Kock), der unsinnliche, aggressive Hausdrache, der gereimten „Ehekrach im Hause Wittelsbach“ macht. Als preußische Karikatur mit Bio-Fimmel macht sie ihrem herzrhythmusgestörten, aber Schweinsbraten liebenden König Max II. die Hölle heiß: traumatisch für den kleinen Ludwig! In Wirklichkeit war Marie die sanfte, leicht einfältige, kinderliebende und Max der spartanische Züchtiger seiner Kinder Ludwig und Otto. Aber für eine dramaturgisch befreiende Preußen-Watschn ist das Verdrehungsmittel auf der altbayrisch ostallgäuer Festspielbühne schon recht.
Lesen Sie auch unser Interview mit dem Regisseur Benjamin Sahler
Musikalisch gibt es ein wunderbares Leitmotiv, dass den Grundansatz zusammenfasst: Die Melodie zu „Bau ein Schloss wie ein Traum“, wo es weiter heißt, „aus der Asche empor und dem Himmel nah“: Neuschwanstein und das geplante Falkenstein als Weltfluchtburgen. Die Asche ist die Kriegshinterlassenschaft von 1866 und 70/71, Wunden im pazifistischen Herz des Kunst-Königs, wie überhaupt in „Ludwig²“ seine unverwirklichbare Friedensliebe die große Enttäuschung des Königs ist, so dass er zum traumtänzerischen Himmelsstürmer als Baumeister wird. Diese Grundmelodie verbindet sich im Schluss-Tutti mit dem Gelöbnis von Sisi (Anna Hofbauer), der Gouvernante (Suzan Zeichner) und dem loyalen Graf Dürckheim (Oedo Kuipers): „Wir bewahren dem König die Treue!“ Und damit ist der Bogen zu unserer Gegenwart geschlagen. Das alles ist schlüssig, sogar ergreifend, hat aber einige kleinere Schwächen.
„Moralischer Wahnsinn“? Es gibt stattdessen roten Rosenregen für Sisi
Dramaturgisch hängt die mit Pause über dreistündige Inszenierung gleich am Anfang bis in die Zeit nach der frühen Thronbesteigung etwas durch und in den Kriegserfahrungsszenen, zumindest wo sie einfach nur plakativ aufgesagt werden. Da hilft auch nicht, wenn riesige Marionetten-Skelette das Schlachtfeld markieren und eine Laserlichtshow, Trockeneis-Pulverdampfmaschine und Mündungsfeuer-Spotlights Atmosphäre schaffen.
Gut beim Publikum kommt zwar an, wenn Ludwig das neu erfundene Telefon ausprobiert und gleich mal mit Bayreuth spricht. Aber die muppetshow-artige Professor-Bunsen-Figur, die mit der Vorführung einer Regenbogenmaschine scheitert, ist eher eine peinliche Lachnummer, auch wenn sie für Ludwigs „Made in Bavaria“-Technikaffinität stehen soll.
Problematischer dagegen ist die Feigheit, mit der eine „psychologische“ Ludwig-Interpretation die mittlerweile gut erforschte Homosexualität des Königs, also den zermürbenden inneren Kampf des Königs, einfach ausblendet, vor allem, wenn man bedenkt, dass dieser „moralische Wahnsinn“ ein entscheidender Baustein bei Ludwigs Absetzung war.
Ein Opfer der Rüstungsindustrie
Interessant ist also auch, wie „Ludwig²“ als Musical ohne Liebesgeschichte auskommt. Kaiserin Elisabeth lehnt politisch korrekt eine Liaison als verheiratete Frau ab, bekommt aber einen roten Rosenregen auf der Roseninsel. Und Prinzessin Sophie (Dorothea Baumann) wird Ludwig hier allzu grob als Verlobte untergeschoben. Die bleibende weiblich-erotische Leerstelle wird in „Ludwig²“ emotional mit anrührender Einsamkeits-Musik ersetzt.
In der Neuauflage von „Ludwig²“ ist die Figur des Psychiaters Dr. Gudden (Uwe Kröger) als fortschrittlicher Mensch gezeichnet, der aber aus Karrieregründen Ludwigs Regierungsunfähigkeit beglaubigt, die zur Absetzung führt. An der sind hier vor allem die Rüstungsindustriellen interessiert, die den König am Ende zusammen mit dem letztlich doch ehrenhaften Gudden durch einen Schattenmann erschießen lassen. Erst dann sacken die beiden in den Starnberger See. So fällt auch der beim Publikum noch vor Jahren so beliebte Bühnentrick weg, bei dem Ludwig tief im Bühnenbecken unterzugehen schien.
Auch akustisch verschwimmt „Ludwig²“ etwas zu stark, als dass die durchweg guten Darstellerstimmen schön zur Geltung kämen. Die Lautsprecher links und rechts der Bühne erzeugen keinen Stereoklang und lassen ein akustisches Loch genau auf der Bühne. So hat die Musik keinen Live-Effekt, der aber genau bei Musical-Produktionen, die ja oft auf CD besser klingen, wichtig wäre.
Bekommt man das in den kommenden Aufführungen noch hin, würde das Festspielhaus am Forggensee diesen Sommer zu einem würdigen, bayerischen Broadway-Theater.
Festspielhaus Füssen: „Ludwig² - Der König kommt zurück“, bis 4. September, Di: 16 Uhr, Mi: 18.30 Uhr, Do: 19.30 Uhr, Fr: 20 Uhr, Sa / So: 15 und 20 Uhr, Karten 39 bis 97 Euro, bei muenchenticket, Telefon 54 81 81 81