Shakespeare-Premiere: Prospero, Diktator der Elenden
Theater im Marstall: Shakespeares „Sturm“, inszeniert von Gisli Örn Gardarsson, mit Manfred Zapatka
Prospero hat Leichen im Keller. Seine Insel verwandelte er vom verwunschenen Dschungelparadies in ein Foltergefängnis (Bühne: Börkur Jonsson). In der dreistöckigen Käfigkonstruktion entsorgt Caliban, der eingeborene Sklave (Guntram Brattia), im Auftrag des ehemaligen und verstoßenen Mailänder Herzogs dessen Opfer in der untersten Etage. Beim Showdown werden sie als Elfen-Zombies dem magiegestützten Rachefeldzug Prosperos über seine früheren Widersacher effektvoll assistieren.
Eine moderne figur von Shakespeare wird modernisiert
„Der Sturm“ ist eine Art Vermächtnis William Shakespeares, in dem er noch einmal alle Register seines zu dieser Zeit vermutlich schon altmodischen Zaubertheaters zog. Dabei erfand er mit dem verbannten Herrscher, der sich im Selbststudium zum Magier ausbildete, um sich all die Geister und Hexen auf der Insel gefügig zu machen, eine fürs frühe 17. Jahrhundert erstaunlich moderne Figur: Vergebung sei, so behauptet Prospero bei William Shakespeare sinngemäß, wichtiger als Vergeltung.
Traue dem Guten nicht!
Der isländische Regisseur Gisli Örn Gardarsson, der den „Sturm“ im Marstall entfachte, traut dem Guten im Mächtigen nicht. Manfred Zapatka – eigentlich eine Traumbesetzung als Prospero, der für einen Prachtschauspieler auch eine Traumrolle sein dürfte – muss einen von seinen Rachegelüsten zerfressenen Paranoiker mimen. Im schwarzen Abendanzug mit Fliege wirkt er, jovial Freundlichkeit ausschwitzend, wie ein Politiker beim Presseball. Wenn er cholerisch tobt, das Gesicht vom Blutdruck heftig errötend, hat Zapatka etwas von der Wucht Franz Josef Strauß’.
Liebe? Nebensache!
Den zweiten Handlungsstrang skelettierte der 40-jährige Isländer zur Nebensache: Die Liebesgeschichte zwischen Prosperos Tochter Miranda (Friederike Ott) und Ferdinand (Franz Pätzold), dem Sohn des Königs von Neapel (René Dumont). Sie besteht nur aus der ersten Begegnung zwischen der als Manga-Mädchen Geschminkten und ihm, der mit wehender Blondmähne wie ein Traumbild aus einem Popvideo zu Lionel Richies „Hello“ über dem Elend schwebt. Anderen visuellen Medien billigt Gardarsson ohnehin mehr Aussagekraft als dem Theater zu, was auf der Bühne nach hinten losgehen kann. Die Kampfszenen sind zwar perfekt choreografiert, doch wer Laserschwerter und Action in Superzeitlupe schon bei „Star Wars“ und „Matrix“ albern fand, hat hier viel zu lachen. Das Premierenpublikum dankte trotzdem mit langem Jubel.
Marstall, 23., 24., 25., 27. Oktober, 18., 19., 21., 22. November, 20 Uhr (sonntags 19 Uhr), 21851940
- Themen:
- Franz-Josef Strauß
- Residenztheater