Schillers "Räuber": Die Erde ist ein Kriegspanzer

Das Residenztheater eröffnet die neue Spielzeit mit einem Klassiker: Schillers „Die Räuber“ ist Ulrich Rasches erste Regiearbeit in München
Mathias Hejny |
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An der Monstermaschine mit Elektromotoren und aufwändiger Hydraulik, die laut Regisseur „die Erde, das Leben schlechthin“ ist, löteten und schweißten die staatstheaterlichen Werkstätten ein Jahr lang.
Residenztheater An der Monstermaschine mit Elektromotoren und aufwändiger Hydraulik, die laut Regisseur „die Erde, das Leben schlechthin“ ist, löteten und schweißten die staatstheaterlichen Werkstätten ein Jahr lang.

Das Residenztheater eröffnet die neue Spielzeit mit einem Klassiker: Schillers „Die Räuber“ ist Ulrich Rasches erste Regiearbeit in München.

Sie seien ein schönes Paar, meint der Regisseur. Valery Tscheplanowa und Franz Pätzold sind ab heute als die ungleichen Brüder Franz und Karl Moor zu sehen. Er habe sogar bei seinen hellhäutig blonden Darstellern eine geschwisterliche Ähnlichkeit beobachtet, erzählt Regisseur und Bühnenbildner Ulrich Rasche. Ursprünglich war anstelle von Valery Tscheplanowa die dunkle, drahtig androgyne Bibiana Beglau vorgesehen. Nach den ersten Proben kam es jedoch zu „künstlerischen Differenzen“. Man habe sich einvernehmlich getrennt und Rasche hofft, dass man sich bei einer anderen Produktion wieder begegnet.

Für Valery Tscheplanowa ist Franz Moor in „Die Räuber“ nicht die erste Hosenrolle am Residenztheater. In der vorletzten Saison spielte sie die Titelfigur in Johann Wolfgang von Goethe Dichterdrama „Torquato Tasso“.

Der Räuberhauptmann ist eine zierliche junge Dame

Aus dem jüngeren der beiden Moor-Brüder soll nun keine kleine Schwester Franziska werden, sondern Franz bleibt ein Mann, der von einer Frau gespielt wird. So wird er ein „schöner Mann“ sein und nicht der verwachsene, unansehnliche Bösewicht, der Friedrich Schiller vorschwebte und dem das intrigante Wesen sofort anzusehen ist. Auch so sei Franz „der interessantere Bruder“, meint Rasche. Er sei der Aufklärer, nicht die „ohne Programmatik“ aus dem „Furor des Verstoßenseins“ zusammengewürfelte Bande. Die dramaturgisch schlichte Aufteilung in den aufmüpfigen Karl, nach Auffassung des Regisseurs fälschlicherweise mit Robin-Hood-Romantik veredelt, und den sich in der Gunst des gräflichen Vaters stets benachteiligt gefühlten Verleumder Franz findet Ulrich Rasche ohnehin „schwach von Schiller“. Das Publikum wiederum hat längst keine Probleme mehr damit, wenn eine zierliche junge Dame als Räuberhauptmann durch die Wälder schnürt.

Zur Uraufführung des Schauspiels aus der Feder des damals 22-jährigen Friedrich Schiller war das Publikum noch sensibler. Das Nationaltheater Mannheim glich an diesem 13. Januar 1782 „einem Irrenhaus“, berichtet ein Augenzeuge. „Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Tür“. Das „berüchtigte“ Werk eines jungen Wilden gehört inzwischen zu den Kronjuwelen der Weimarer Klassik. Das Residenztheater eröffnet damit die neue Spielzeit, mit der Inszenierung gibt Ulrich Rasche gleichzeitig sein Debüt am Max-Joseph-Platz. Literarische Schwergewichte gehören zum bevorzugten Material des Kunsthistorikers, der erste Theatererfahrungen unter anderem bei Robert Wilson machte und seine Neigung zum chorischen Schauspiel bei Einar Schleef verortet.

So was wie in Frankfurt wollte Martin Kušej in München auch haben

So werden manche Dialoge nicht vom Blatt nacheinander gesprochen, sondern synchron als vom Komponisten Ari Benjamin Meyers als Chor rhythmisiert. Nichts Geringeres als die „Apokalypse“ dramatisierte Rasche in Stuttgart, Johann Wolfgang von Goethe Roman „Wahlverwandtschaften“ bereitete er in Berlin für die Bühne zu und Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ in Bonn. Als Resi-Intendant Martin Kušej in Frankfurt Büchners „Dantons Tod“ sah, beschloss er, dass er so etwas in München auch haben will. Herzstück der Inszenierung war eine gigantische Maschine, die das unerbittlich Mechanische eines gewaltsamen Umsturzes in ein klares Bild fassten.

Etwas Ähnliches ließ Rasche für seine Schiller-Interpretation bauen. Ein Jahr lang schraubten, löteten und schweißten die staatstheaterlichen Werkstätten an einer Monstermaschine, die die nicht eben klein geratene Bühne des Residenztheaters füllt. Mobil wird die Konstruktion durch Drehbühne, Elektromotoren sowie einer aufwändigen Hydraulik. Damit lässt sich der Raum schnell verändern. Zudem laufen zwei Fließbänder, auf denen sich die Figuren zu unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Richtungen bewegen müssen, ohne vorwärts zu kommen. Diese Mischung aus kriegerischem Panzer und ausbeuterischem Industriemoloch, so fasst Ulrich Rasche zusammen, „ist die Erde. Das Leben schlechthin“.

Residenztheater, Premiere heute, 19.30 Uhr, nächste Vorstellungen am Sonntag, 2., 3., 23., 24. Oktober, 19.30 Uhr (Tag der dt. Einheit: 18 Uhr), Tel.  21 85-19 40

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