Salzburger Festspiele: "The Greek Passion" ist eine Entdeckung
Die ersten drei Opern-Neuinszenierungen der Salzburger Festspiele tendierten mehr ("Macbeth" und "Falstaff") oder weniger ("Le nozze di Figaro") zum klotzenden Ausstattungstheater.
Die Stoffe selbst blieben unerzählt, dafür gab's viel Drumherum vom Filmset über eindrucksvoll sortierte Bars bis zu einer riesigen Bahnhofswartehalle. Das alles wirkte ziemlich unbefriedigend bis ärgerlich, und auch die musikalische Seite bot oft auch wenig Rettendes.
"The Greek Passion" bei den Salzburger Festspielen: Eine pure, mitreißende Inszenierung
Die vierte Premiere ist ganz anders. Simon Stone inszenierte Bohuslav Martinus Oper "The Greek Passion" in der Felsenreitschule ganz klassisch: konzentriert auf die Darsteller in einem weißen Kasten und ohne Zusätze (Bühne: Lizzie Clachan). Sozusagen pur. Und das wirkte so mitreißend, dass man die dem Theaterkonzept des Komponisten und der Vorlage anzulastenden Schwächen dieser Oper gerne vergisst.

Martinus Musik ist eine Entdeckung. Salzburg spielt die 1959 vom Londoner Opernhaus Covent Garden abgelehnte und erst 1999 in Bregenz uraufgeführte Urfassung. Die Partitur hat nichts Avantgardistisches. Martinu komponierte tschechischen Wohllaut mit nur wenigen folkloristischen Einsprengseln und viel feierlicher archaischer Hymnik, die mit der religiösen Grundierung der Handlung zu tun hat.
Eine zeitlose gegenwärtige Handlung in "The Greek Passion"
Die dem gleichnamigen Roman des Schriftstellers Nikos Kazantzakis entliehene Handlung spielt Anfang der 1920er Jahre während des Griechisch-Türkischen Kriegs: Von den Türken vertriebene Griechen möchten sich bei einem Dorf der gleichen Nationalität niederlassen. Die Mehrheit reagiert mit Hass, die Mitwirkenden eines geplanten Passionsspiels identifizieren sich stark mit ihren Rollen und wollen helfen. Der jesusgleiche Hirt Manolios wird getötet, dann ziehen die Flüchtlinge weiter.

Stone versetzte die Handlung ins zeitlos Gegenwärtige. Natürlich erinnern die Flüchtlinge unweigerlich an heutige Migranten, die über die Ägäis die griechischen Inseln erreichen. Sie sind bunt gekleidet, die Dorfbewohner tendieren zur grauen, kompakten Hetz-Masse. Die von Huw Rhys James einstudierte, in riesiger Besetzung auftretende Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor singt und spielt hinreißend: Jeder Mensch auf der Bühne verkörpert ein Individuum, und nie wirkt es störend, dass die Oper zum Oratorium und zum feierlichen Hochamt tendiert.
"The Greek Passion" in der Felsenreitschule: Kleine Rollen, wuchtige Stimmen
Der französische Dirigent Maxime Pascal betont vor allem die sensuellen Reize der Partitur, ohne die Dramatik zu vernachlässigen. Der Solo-Trompeter der Wiener Philharmoniker leistet im Piano und Pianissimo Unmögliches. Der fließende Wohllaut der Musik wird von diesem Orchester bis zum letzten Schlagzeuger hinreißend seidig zelebriert, die in einer mittleren Aufführung anstrengende Hymnik wirkt keine Sekunde schal. Man wünscht sich sogar, sie würde unendlich weiterströmen.

Die Sängerinnen und Sänger bilden ein perfektes Ensemble, und wer – wie der Schauspieler Robert Dölle vom Residenztheater – nur eine kleine Rolle hat, macht mit wuchtiger Stimme eine große daraus.
Zwei exzellente Bassisten verkörpern die beiden sehr gegensätzlichen Priestergestalten: Gábor Bretz versteht den Grigoris als reaktionären Fanatiker, der wie ein heutiger konservativer Politiker spricht, für den christliche Werte nur ein Lippenbekenntnis bleiben. Er tritt – als absichtliche Ironie – immer im vollen liturgischen Ornat auf, während Lukasz Golinski (Fetis) in Zivil den Anführer der Flüchtlinge darstellt (Kostüme: Mel Page).

"The Greek Passion"-Regisseur Simon Stone überzeugt auch in heiklen Situationen
Simon Stone kommt auch mit Heiklem wie den Visionen des dritten Akts virtuos zurecht. Sebastian Kohlhepp spingt und spielt den Manolios mit schlichter Klarheit. Man kann aber schon finden, dass die Christusnähe der Figur mit Bart und langen Haaren dick aufgetragen wird.
Aber das ist auch ein Problem der Figurenzeichnung in der Oper, das auch Sara Jakubiaks Katerina betrifft. Aber alle Sängerdarstellerinnen und -darsteller haben nicht die geringste Mühe, schwierigen Partnern wie Kindern und Tieren charismatisch standzuhalten.
"The Greek Passion" ist die beste Opernpremiere der Salzburger Festspiele
Gibt's gar nichts auszusetzen? Doch. Den Figuren bleibt wenig Raum für Entwicklung. Da kann auch die beste Regie nichts ändern, höchstens leicht retuschieren. Leider scheidet die Oper sehr holzschnittartig zwischen Gut und Böse, was sich kaum weginszenieren lässt. Dass – historisch gesehen – die fremdenfeindlichen Dorfbewohner im Zug der ethnischen Säuberung Kleinasiens ebenfalls ihre Heimat verlassen mussten, verschweigt die Oper. Und es bleibt zu befürchten, dass die edle Botschaft dieses Flüchtlingsdramas bei der Begegnung mit dem ersten nichtweißen Migranten in Salzburg oder anderswo längst vergessen ist.
Sei's drum: "The Greek Passion" ist nicht nur die beste Opernpremiere der diesjährigen Salzburger Festspiele. Sie macht auf ein Werk und einen Komponisten aufmerksam, der zu wenig beachtet wird. Und das zählt zu den vornehmsten Aufgaben solcher Luxusfestivals.
Wieder am 18., 22., und 27. August in der Felsenreitschule, Restkarten unter salzburgfestival.at
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