Rumms, da liegt die Kiste
Vor gut 20 Jahren bot ihm Wolfgang Sawallisch schon einmal den „Ring des Nibelungen“ an. Dieter Dorn lehnte damals ab, nun inszeniert er Wagners Opernvierteiler in Genf. Am 9. März hat „Rheingold“ Premiere. Am Pult steht Ingo Metzmacher, das Bühnenbild entwirft sein langjähriger Weggefährte Jürgen Rose.
AZ: Herr Dorn, der Rhein in Wagners „Rheingold“ fließt bei Ihnen von rechts nach links. Warum ist das für Sie so wichtig, dass Sie sogar in Ihrer in Kürze erscheinenden Autobiografie darauf zu sprechen kommen?
DIETER DORN: Erstmal hat Wagner das so vorgeschrieben. Für uns Münchner fließt der Rhein von links nach rechts. Von der Schweiz aus gesehen, wo Wagner das „Rheingold“ komponierte, fließt er von rechts nach links. Alles ganz logisch.
Ist das nicht ein wenig zu viel an Werktreue?
Wagner war ein großer Theatraliker, ein absoluter Kenner des Genres. Er wusste, wenn etwas beginnt, dann von rechts nach links. Das ist gegen die Schrift, gegen unsere Gewohnheit und deshalb erregt es unsere Aufmerksamkeit. Ich frage die jungen Regisseure immer, von welcher Seite Jesus aufgetretene wäre.
Was fließt denn eigentlich bei Ihnen zum tiefen Es am Beginn des „Rheingolds“?
Bei uns wird ein Vorhang von rechts nach links über die Bühne gezogen, dann kommen Wassergeschöpfe von rechts nach links, und ein Felsen wird hereingerollt, aus alten Kisten und Kartons, sozusagen Grabbelkisten. Denn der Ring hat ja schon eine Vorgeschichte, bevor er überhaupt beginnt.
Was fasziniert sie an einem Mammutwerk wie dem „Ring“, das ja selbst längst zu einer Art Mythos geworden ist?
Wagner hat sich mit dem „Ring“ eine Art Privatmythos geschaffen, zusammengeschnipselt aus allerlei Versatzstücken, von der Antike bis zur deutschen Sagenwelt. Neben diesen mythischen und autobiografischen Elementen gibt es ungeheuer naturalistische Passagen, wo sich die Figuren ganz menschlich zeigen, mit all ihren Widersprüchen, ihren Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Wotan ist ja auch ein Jedermann. Bei uns fahren die Götter mit Masken rein, wie ihr eigenes Denkmal, lösen sich dann aber auf in ganz reale, verletzliche, widersprüchliche Menschen. Und natürlich ist der Ring auch ein großes Stück Kapitalismuskritik.
Formulieren Sie daraus in Genf so etwas wie einen politischen Anspruch?
Wer mich kennt, weiß, dass ich wenig von solch plakativen Konzepten halte. Wir erzählen die Geschichte ganz stringent. Die Politik lassen wir als Parabel stehen. Die Zuschauer sollen das Rätsel selbst lösen.
Der unlängst verstorbene Wolfgang Sawallisch hatte Ihnen für 1987 schon einmal angeboten, den „Ring“ zu inszenieren. Dann wurde Nikolaus Lehnhoff mit der Arbeit betraut. Warum kam es nicht zu dieser Zusammenarbeit?
Ich war damals Intendant der Kammerspiele und konnte mich unmöglich monatelang ausklinken. Dieses Riesenwerk können Sie nicht nebenher machen. Jürgen Rose und ich beschäftigen uns jetzt schon zwei Jahre mit dem Stoff und mit nichts anderem.
Auf dem grünen Hügel in Bayreuth waren sie erst einmal. 1990 haben Sie dort den „Holländer“ inszeniert. Haben Sie Lust, noch einmal dorthin zurückzukehren?
Ich glaube, das ist nicht realistisch, weil sich die beiden Damen Wagner ja mit etwas Neuem profilieren müssen. Ich kann mich übrigens noch gut an Wolfgang Wagner erinnern, der mir damals in seinem breiten Fränkisch sagte, jetzt machen Sie erstmal etwas aus dem Frühwerch. Nun ja, das Spätwerch mache ich jetzt eben in Genf.
In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, dass es zwei Opern gibt, die sie unbedingt noch inszenieren möchten: „Zauberflöte“ und „Don Giovanni“.
Ich stand schon mehrmals kurz davor, die beiden grandiosen Opern zu inszenieren. Sir Peter Jonas hatte mich für die „Zauberflöte“ engagiert. Leider wurde die Premiere aus Sparzwängen gestrichen. Für die New Yorker Met hatten Jürgen Rose und ich sogar zwei Konzepte für „Don Giovanni“ abgeliefert. Die waren aber offenbar nicht effektvoll genug für ein von privaten Zuwendungen abhängiges Haus wir die Met.
Warum Mozart?
Mozart ist für mich wie William Shakespeare, ein Riese, ein Wahnsinns-Menschenkenner.
Wird man Sie vielleicht noch einmal an der Staatsoper sehen können?
Mit Herrn Bachler ist es wie mit den Wagner-Damen. Er will alles neu und anders machen und nicht auf die alten Sachen zurückgreifen. Schade finde ich nur, dass der „Idomeneo“, den Jürgen Rose und ich mit Kent Nagano 2008 zur Wiedereröffnung des Cuvilliéstheaters herausbrachten, nach acht, neun Vorstellungen in der Versenkung verschwunden ist. Ich glaube, das war eine sehr gelungene Arbeit.
Es heißt, Sie seien kein Fan von Übertiteln in der Oper. In Genf gibt es sie gleich zweifach, auf englisch und auf französisch…
Zumindest nicht auf deutsch, wenn deutsch gesungen wird. Das ist schon mal ein Fortschritt. Ich finde Übertitel grauenhaft. Es lenkt die Leute ungeheuer ab von dem, was auf der Bühne passiert. Auch für die Sänger ist es nicht schön. Die sagen mir immer, seit es Übertitel gibt, müssten sie ständig in den Rachen der Leute schauen. Ich achte, auch jetzt im Ring, sehr auf Textverständlichkeit, damit die Leute nicht an die Decke starren müssen. Aber ich kriege die Schriftbänder nicht weg. Ein Horror. Ich finde Übertitel grauenhaft. Es lenkt die Leute ungeheuer ab von dem, was auf der Bühne passiert. Auch für die Sänger ist es nicht schön. Die sagen mir immer, seit es Übertitel gibt, müssten sie ständig in den Rachen der Leute schauen. Ich achte, auch jetzt im Ring, sehr auf Textverständlichkeit, damit die Leute nicht an die Decke starren müssen. Aber ich kriege die Schriftbänder nicht weg. Ein Horror.
Videos sind wohl auch nicht Ihre Sache?
Wenn es dramaturgisch Sinn macht, warum nicht? Nur nicht als Effekt. Hier in Genf zeigen wir zu Beginn auf leerer Bühne und noch ohne Musik Bilder von allerlei Schrecklichkeiten unserer Welt, Panzer, Krieg. Dann fällt von oben mit Getöse eine Kiste auf die Bühne. Rumms. Darin liegt das Wollknäuel, das die Nornen in der „Götterdämmerung“ zu entwirren versuchen. Und dann kommt das tiefe Es…
Dieter Dorns Autobiografie "Spielt weiter! Mein Leben für das Theater" erscheint Mitte März bei C.H. Beck
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