Rossinis "Barbier von Sevilla" im Hubertussaal

Die Kammeroper München inszeniert und arrangiert Rossinis „Barbier von Sevilla“ im Nymphenburger Hubertussaal
Adrian Prechtel |
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Halb drückt er sie, halb sinkt sie hin: Zickenpuppe Rosina und ihr Oheim Bartolo, der hier kein altes Ekel ist: Katarina Morfa und Vladislav Pavliuk in Tristan Brauns Inszenierung von Rossinis „Barbier von Sevilla“.
Foto: Sabina Tuscany Halb drückt er sie, halb sinkt sie hin: Zickenpuppe Rosina und ihr Oheim Bartolo, der hier kein altes Ekel ist: Katarina Morfa und Vladislav Pavliuk in Tristan Brauns Inszenierung von Rossinis „Barbier von Sevilla“.

War der Römer Cesare Sterbini (1784– 1831) prüde? Oder hatte er Angst um seinen lukrativen Job in der Vatikanverwaltung. Jedenfalls weigerte er sich lange weiterzuschreiben und lieferte Rossini das leicht frivole Libretto zum „Barbier von Sevilla“ viel zu spät.

Sähe er heute die Inszenierung von Tristan Braun im Nymphenburger Schloss, würde er staunen. Denn hier hat man seine – etwas schablonenhafte – Personenzeichnung aufgemischt: Aus dem mürrisch dummen, alten Dr. Bartolo, der als Vormund seine blutjunge Rosina mit sich zwangsverheiraten will, ist ein junger, charmanter, agiler Mann geworden.

Das ist nicht nur der Besetzung mit dem wendigen ukrainischen Bariton Vladislav Pavliuk (27) geschuldet, sondern der Idee: Wenn Bartolo nicht grässlich ist, erweitert sich das erotische Spiel. Denn dann ist Bartolo eine ernstzunehmende Konkurrenz zum jungen Popper-Eroberer, dem Graf Almaviva, der hier vom 26-jährigen Thomas Kiechle ironisch-elegant gespielt wird. So entsteht statt einer Rettung aus den Fängen eines Ekels eine echte Dreiecksbeziehung.

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Und Rosina ist hier die verwöhnte Oberschichts-Bitch, die sich gelangweilt nur für das interessiert, was im Zeitgeiststück von Marc Ravenhill drastisch als „Shoppen & Ficken“ zusammengefasst ist. Aber Rosina (die 27-jährige Kubanerin Katarina Morfa mit unangestrengter, klarer Koloraturstärke) ist ja noch eine Teenie-Zicken-Lolita, so spielt das alles doch eher noch in ihrer Fantasie: gut für das letztlich konservative Publikum und (Sponsoren-Umfeld) der Kammeroper München. Tristan Braun hat auch nichts hart modernisiert, sondern bleibt historisierend auf 1816 bezogen, als vor 200 Jahren Gioachino Rossinis „Barbiere“ uraufgeführt wurde. Auch die Kostüme changieren an der Schwelle zwischen letzten Ancien-Régime-Zuckungen und napoleonischer Klassik: Bartolo darf noch eine Louis-XIV-Perücke tragen, der alles einfädelnde Bariton-Barbier Figaro (André Baleiro) hat eine hochtoupierte Frisur wie Mozart im Forman-Film.

Abgewichen wird von der Grundidee der Kammeroper München, alles ins Deutsche zu transponieren. Nur Rezitativischeres ist deutsch. Dialoge wurden dazugedichtet – mit witzigen Freiheiten versehen, so dass Kammerzofe Berta (Suzanne Fischer als kraftvoll angereicherter Sopran) auch mal behaupten kann, „Männer sind alle Verbrecher!“ und Rosina: „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“

Ein bunter Abend mit begeisternden Stimmen

Dennoch gibt es so ein dramaturgisches Problem: Die ohnehin arg konstruierte und klischeehafte Handlung zerfällt so leicht in eine Nummernrevue. Die Sache bekommt keinen richtigen Zug. Zusammengehalten wird aber alles dadurch, dass die Bühne (klassisch am Kopf des Raumes) witzig kompakt sich nur um Rosinas Prinzessin-auf-der-Erbse-Bett dreht. Wobei ihr kunstschmiedernes Fußgitter beim Dreh der Bühne zur Balkonbalustrade wird. Unter der kann Graf Almaviva dann verkleidet als Bettelstudent („liebt sie mich auch, wenn ich kein Geld hätte?“) seine Romeo-Arien absingen. Das alles ist dicht, witzig, wenn auch manche Ideen nicht ausgereizt werden: wie die Perücken-Wechsel-Idee, die den klassischen Figuren aber nicht zu einer weiteren, spielerisch-interessanten Identität verhelfen würde. Außer dass Rosina beschließen kann: Heute bin ich Paris-Hilton-blond!

Dafür gelingt Regisseur Braun zum Beispiel eine wunderbare Duett-Interpretation, als die eigentlichen Konkurrenten Graf und Bartolo „Pace e gioia sia con voi“ singen: hier eben nicht ironisch sich verstellend, sondern einen Joint zusammen rauchend, so dass ein „Love & Peace“-Duett entsteht. Und am Ende darf der um die Ehefrau betrogene Bartolo sogar noch ein bisschen mit der frisch gräflich-verheirateten Rosina unter der allumfassenden Ehe-Bettdecke mitfummeln.

Und musikalisch? Arrangeur und Kammeroper-Impresario Alexander Krampe hat der Besetzung im guten Dutzend eine Marimba und ein Akkordeon verpasst. Das xylophonartige Instrument gibt dabei Wärme, die Quetsche Fülle, aber thematisch tragen sie nichts bei.

So bleibt ein intensiv-bunter, amüsanter Abend mit begeisternd guten, jungen Stimmen und echten Sänger-Schauspielern, die den „alten“ „Barbier von Sevilla“ zu einer wunderbaren „Bravo“-Foto-Lovestory machen – und die sind ja auch prickelnd jung-romantisch.    

Heute und morgen, dann bis 18. September jeweils Mi – So, Hubertussaal, Schloss Nymphenburg (klimatisiert), 19.30 Uhr (Einführung 18.30 Uhr), 25 bis 63 Euro, www.kammeroper-muenchen.de, Telefon 45 20 56 121

 

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