Rolf Boysen tot: Er war das Gesicht der Kammerspiele

Noch im hohen Alter konnte ihn nichts von der Bühne fernhalten. Sogar seinen 90. Geburtstag feierte er noch im Theater. Jetzt ist der letzte Vorhang gefallen. Der große, leidenschaftliche Theaterschauspieler Rolf Boysen ist tot.
von  Gabriella Lorenz

Es war ein bewegender Moment, als Dieter Dorn den Schauspieler im Juni 2011 mit Tränen in den Augen umarmte. Heinrich von Kleists Essay „Über das Marionettentheater“ hatte sich Rolf Boysen für seine letzte Lesung ausgesucht, einen Text voller Scharfsinn, Euphorie und Leidenschaft für die Kunst, für das Drama.

Rolf Boysen war das Gesicht des Münchner Theaters und einer der prägenden Schauspieler im Land. Noch mit über 90 Jahren war er – „ohne jede Einschränkung“, wie er betonte – Mitglied des Staatsschauspiels. Auf die Frage, worauf es ankomme, wenn er einen Text erarbeitet, sagte Boysen: „Auf inneres Feuer.“ In Lesungen der großen Werke der Weltliteratur - von der „Ilias“ bis „Parzival“ setzte Rolf Boysen auf die Macht der Sprachkunst - die einzige Macht, an die er glaubte.

Kortner war sein Lehrer

Etwas anderes als Schauspielerei konnte er sich nie als Beruf vorstellen, obwohl ihn auch die Musik gereizt hat. Nach einer kaufmännischen Ausbildung und dem Kriegsdienst erhielt der Hanseat Boysen 1946 sein erstes Engagement in Dortmund. Von 1957 bis 1968 war er an den Münchner Kammerspielen – hier spielte er 1962 in Fritz Kortners Regie „Othello“, seine Desdemona war Doris Schade.

„Kortner war meine Theaterschule“, schreibt Boysen in seinem Essay „Machen Sie Platz für den Ausdruck!“: „Er war ein Ausdruckserlöser! Er schaufelte den Schutt einer verbrauchten Tradition weg, er warf das ganze Gerümpel psychologisierender Besserwisserei über Bord und machte den Blick frei für Menschen in der Welt“, so empfand er Kortners Regie-Arbeit.

Unter Kortner spielte er an den Kammerspielen in „Fräulein Julie“ und in Hamburg „Clavigo". Sein Partner war damals Thomas Holtzmann, den er seit 1952 kennt und mit dem er nach der Rückkehr an die Kammerspiele jahrzehntelang die Garderobe teilte. Unvergesslich sind die beiden als Brüderpaar in Thomas Bernhards „Der Schein trügt“.

Wissen und Zeigen

Boysen misstraute dem Realismus und der Natürlichkeit auf der Bühne. In einem AZ-Gespräch sagte er: „Dass ein Schauspieler sein eigenes Gefühl herausquetscht, interessiert mich überhaupt nicht. Ich will wissen, was er von der Figur erkundet hat, das muss er zeigen, das will ich sehen. Der Lear ist wirklich eine aufwühlende Rolle, aber nicht eine Sekunde hat mich je das Gefühl übermannt. Ich habe immer genau gewusst, was und wie ich es mache - jeden Abend. Was ich über die Rolle weiß, habe ich vorher erworben. Aber ich muss wissen, wie ich das zeige.“

Von 1968 an war Boysen zehn Jahre lang am Schauspielhaus Hamburg engagiert. In dieser Zeit war er häufig auf dem Bildschirm zu sehen - 1978 brillierte er als „Wallenstein“ in dem TV-Mehrteiler. Im selben Jahr holte ihn Dieter Dorn zurück an die Kammerspiele. „Daraus ist eine Lebensgemeinschaft geworden, das ist ein großer Glücksfall“, sagt Boysen.

Dieter Dorns bester Schauspieler

Dieter Dorn, mit dem er 2001 an das Bayerische Staatsschauspiel wechselte, wurde sein kongenialer Regisseur. „Dorn dämpft den großen Ton, zu dem ich neige, das ergänzt sich ganz gut“, charakterisierte Boysen die gemeinsame Arbeit. „Er zieht alles auf ein menschliches Maß. Bei den Proben zu ,Lear' hat er mir mal gesagt: ,Der Trauerrand kommt von allein.'“

Die erste Inszenierung von Dorns Intendanz am Resi war Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ - da spielte Boysen seine Wunschrolle, den Shylock. „Im Wechselspiel aus Freude und Hass, aus Empörung und Racheschrei bewahrt sich sein Shylock stets ein staunendes Fragen, ein Verwundertsein und Verwundbarkeit“, schrieb die AZ über Boysens Gestaltung. 2005 brillierte er als Gott Dionysos in Euripides' „Bakchen“.

Für sein Lebenswerk hat Boysen jede Menge Auszeichnungen bekommen, darunter den Kulturellen Ehrenpreis der Stadt München und den Bayerischen Theaterpreis. Stolz darüber ist ihm fremd. Ihm ging es immer nur um eines: die Wahrhaftigkeit auf der Bühne. Am Freitag früh verstarb er im Alter von 94 Jahren.
 

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