Roland Schwab über "Mefistofele" von Arrigo Boito im Nationaltheater

Die Bayerische Staatsoper zeigt als erste Premiere der neuen Spielzeit „Mefistofele“ von Arrigo Boito
von  Robert Braunmüller

Er schrieb für Giuseppe Verdi die Texte zu „Otello“ und „Falstaff“. Aber Arrigo Boito war auch Komponist. Seine einzige vollendete Oper „Mefistofele“ fasst die beiden Teile von Johann Wolfgang von Goethe Faust zusammen. Die 1868 an der Mailänder Scala uraufgeführte und 1875 für Bologna überarbeitete Oper gilt als zentrales Werk der Phase zwischen Verdi und Puccini. Sie war noch nie im Nationaltheater zu sehen. Roland Schwab hat die Oper mit René Pape, Joseph Calleja und Kristine Opolais in den Hauptrollen inszeniert. Omer Meir Wellber dirigiert die Premiere an diesem Samstag.

AZ: Herr Schwab, wer „Mefistofele“ inszeniert, inszeniert auch ein bisschen Johann Wolfgang von Goethe „Faust“. Ist das wirklich ein Vergnügen?

ROLAND SCHWAB: Wer sich mit Johann Wolfgang von Goethe „Faust“ beschäftigt, verfällt leicht in eine Schockstarre. Besonders „Faust II“ belädt einen mit Minderwertigkeitskomplexen. Insofern begrüßt man die Version eines Komponisten und Textdichters, der die Dreistigkeit besaß, Johann Wolfgang von Goethe für seine eigenen Ideen zu benutzen und ihm nicht hörig hinterherzukomponieren.

Wie verhält sich „Mefistofele“ zu Johann Wolfgang von Goethe „Faust“?

Boitos Oper hat sich von Johann Wolfgang von Goethe emanzipiert. Es ist eher ein Fantasieren über Faust. Er ist kein grüblerischer Gelehrter, sondern ein Jedermann.

Und er ist gar nicht die Hauptfigur, wie der geänderte Titel nahelegt.

Boito verlegt klar den Fokus weg von Faust auf Mefistofele. Bei Johann Wolfgang von Goethe war der Diabolus noch ein Partner, ein Zuspieler von Gott. Bei Boito scheint es, als habe Mefistofele keinen Widerpart. Boito wirft uns kühne Brocken hin, beginnend mit dem Himmlischen Vorspiel und endend mit dem langen Nirwana des Versuchsobjekts Faust, der sich aus den Klauen des Teufels wegdämmert.

Gibt es eine Beziehung zwischen Boitos „Mefistofele“-Text und seinem später für Verdi geschriebenen „Otello“?

Unbedingt. Mefistofele hat wie Jago in „Otello“ ein Credo als großer Nein-Sager. Das Abgründige hat Boito angetrieben, auch in anderen Operntexten wie in seinem Libretto für Amilcare Ponchiellis „La Gioconda“. Eine Oper, in der finsterste Gestalten auftreten. Schade, dass er mit seiner Nero-Oper in 25 Jahren vor lauter Perfektionszwang nicht fertig geworden ist. Sein „Mefistofele“ ist ein Solitär geblieben.

Den Prolog im Himmel kann man bei Johann Wolfgang von Goethe streichen. Hier dauert er gut 20 Minuten, mit Fanfaren und Gott als Chorus mysticus.

Ich hatte als großer Liszt-Fan einen Satz von Richard Wagner im Kopf: Er hat Liszt bei dessen Dante-Symphonie abgeraten, das Paradies zu komponieren. Man muss da ehrlich sein: Wenn es darum geht, Himmel und Hölle darzustellen, schafft man maximal eines dieser beiden Themen.

Welches liegt Ihnen da näher?

Ich behaupte, dass wir uns eher in die Hölle hineindenken können. Und so lässt sich die Engelssphäre als Sehnsucht aus der Hölle heraus verstehen. Als Nostalgie der Hölle, die vielleicht einmal einen Himmel gekannt hat. Das ist mein Thema: Wir sind durchgehend in der Welt des großen Versuchers, der unter dem entschwundenen Himmel leidet. Das ist meine Rettung und mein Interesse an dem Stück.

Die beiden Walpurgisnächte hat Ihnen Boito auch nicht erspart.

Damit ist immer verbunden eine Grenzüberschreitung des Geschmacks. Man kann das angedeutet oder exzessiv inszenieren. Mich interessiert der Amoklauf der höllischen Mittel, ein höllischer Mechanismus bis zum Anschlag. Überhaupt geht es für mich um kollektive Angstbilder, die wir auch als moderne Menschen haben. Unsere Zeit ist eine Konzentration von Nervosität. Wir sind global mit Ängsten und Angstbildern vernetzt, die wir verdrängen müssen, um zu überleben.

Und die bringen Sie auf die Bühne.

Sie sind das sadistische Folterinstrument des Teufels. Wir sind hier in München: Sie wissen, dass selbst eine harmlose Sache wie ein Volksfest schlimm ausgehen kann.

Sie sind zwar in Saint-Cloud geboren, aber in München aufgewachsen.

Die frühen musikalischen Ekstasen in der Bayerischen Staatsoper sind der Grund, warum ich Regisseur geworden bin. Ich war damals noch Schüler, und als ich in der Ära von Wolfgang Sawallisch hier erste Vorstellungen gesehen habe, hat das eingeschlagen wie eine Granate.

Aber Sie haben erst einmal Physik studiert.

Ich bin der erste in meiner Familie mit künstlerischen Ambitionen. Anfangs traute ich mir den Weg nicht zu. Aber es brach sich dann doch Bahn.

Sie sind Meisterschüler von Ruth Berghaus. Sieht man das Ihrer Inszenierung an?

Man nimmt, wenn man lernt, von jedem Regisseur an, was zur eigenen Persönlichkeit und Kunstvorstellung passt. Ich habe erst bei Götz Friedrich gelernt. Er vertrat ein sehr realistisches Musiktheater. Aber irgendwann interessierte mich die Gegenseite. Bei der Berghaus war das ein starker Formwille. Das Hinabloten in eigene Abgründe ist mein Thema, auch in „Mefistofele“. Dem begegne ich mit einem starken Formwillen. Denn auch Mefistofele lässt sich als ein einziger Alptraum verstehen, und Alpträume brauchen Form und Logik, damit die Pointen schmerzhaft zünden.

Premiere Sa., 24. Oktober, 19 Uhr, ausverkauft. Live auf BR Klassik

 

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