Róbert Alföldi über Brittens "Albert Herring" und die Lage in Ungarn

Der Nachwuchs der Bayerischen Staatsoper zeigt heuer die Oper „Albert Herring“ von Benjamin Britten. Oksana Lyniv dirigiert, Regisseur ist Róbert Alföldi. Er war bis 2013 Intendant des ungarischen Nationaltheaters. Obwohl er sich um eine Verlängerung bewarb, wurde er durch einen Nachfolger ersetzt, der den kulturpolitischen Vorstellungen der Regierung Orbán mehr entsprach.
AZ: Herr Alföldi, Ihre erste Inszenierung war 1995 „Tristan und Isolde“ am Vígszínház Theater in Budapest. Ein Debüt mit Wagner?
RÓBERT ALFÖLDI: Nein. Das war ein Schauspiel-Projekt ohne Wagner, nach dem mittelalterlichen Stoff und einer ungarischen Vorlage.
Ist „Albert Herring“ Ihre erste Oper?
Nein, ich habe Barockopern inszeniert und moderne Werke in den USA. Und natürlich Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“, außerdem Verdi, Gluck und vieles andere. Ich mache ziemlich viel Oper. Im Mai bringe ich beim Armel Festival in Szeged ein neues Werk des Komponisten Péter Eötvös heraus.
Wovon handelt „Albert Herring“?
Die Geschichte spielt in einer recht rigiden Gesellschaftsordnung. Wer sich nicht an die Regeln hält, bekommt Ärger. Oder wenigstens: Sein Leben wird unangenehm. Ein junger Mann namens Albert Herring empfindet das als Beschränkung. Er haut die Vertreter dieser Gesellschaft übers Ohr. Die Botschaft ist: Wir sollen lieben, das Leben genießen, keine Angst vor den Erwachsenen haben. Und die Erwachsenen sollen nicht bestimmen, wie wir zu leben haben.
Brittens Oper spielt in England um 1900. So wie sie es beschreiben, denke ich bei Ihrem biografischen Hintergrund sofort an Ungarn.
Sie dürfen auch an Deutschland denken. Oder an jede beliebige Gegend auf der Welt, in der Menschen denken, sie hätten eine höhere Moral auf ihrer Seite. Brittens Oper ist eine Komödie. In Ungarn spielt die Geschichte auf gar keinen Fall, weil es da nicht mehr lustig ist.
Für uns ist es schwer, die Situation in Ungarn zu verstehen. Es heißt immer wieder, die Demokratie sei dort in Gefahr. Wie sehen Sie das?
Ich finde, das stimmt. Aber es ist nicht so, dass eine Minderheit der Mehrheit ihren politischen Willen aufzwingen möchte. Die Bevölkerung hat Viktor Orbán zweimal mit einer Mehrheit gewählt! Ich bin mit meinen Ansichten in der Minderheit.
Warum wählen die Leute die Fidesz-Partei?
Ungarn ist ein Land mit einer unbewältigten Vergangenheit und einer unaufgearbeiteten Geschichte. Viele Leute denken: Wir haben keine Schuld, wir sind die Guten, niemand liebt uns. Die Welt ist gegen uns. Diese Haltung sitzt tief. Das sorgt für Frustrationen. Die gegenwärtige Regierung nutzt diese Gefühle aus. Außerdem ist die wirtschaftliche Situation schlecht. Allmählich lebt die Hälfte des Landes in Armut.
Hier wundert man sich auch über die rigide Haltung Orbáns in der Flüchtlingskrise.
Die Regierung Orbán wurde von der Mehrheit gewählt, 80 Prozent der Ungarn finden die Flüchtlingspolitik des Ministerpräsidenten richtig. Auch in Deutschland gibt es Streit in dieser Frage. Da darf man sich über die Haltung eines armen, frustrierten Landes wie Ungarn nicht wundern Aber die Politiker hätten eine Verantwortung, die Leute nicht zusätzlich aufzuhetzen.
Ist der Regierung die Kultur wichtig?
Nur so lange, bis alle wichtigen Posten mit eigenen Leuten besetzt sind.
Wenn die Deutschen Ungarn kritisieren, bestätigt das nicht den bestehenden Frust?
Die Regierung behauptet, wir müssten uns vor dem Ausland schützen. Die EU gilt fast als Feind. Alle, die kritische Fragen stellen, gelten als Nestbeschmutzer. Leider ist die ungarische Opposition schwach und inkompetent. Die Ungarn sind keine geübten Demokraten. Deshalb fürchte ich, dass sich schnell nichts an den Zuständen ändern wird. Die Armut nimmt zu, die Leute werden immer aggressiver. Viele gut ausgebildete junge Leute verlassen Ungarn. Wer die Möglichkeit hat, flüchtet aus dem Land.
Premiere am 5. 4., 19 Uhr, im Cuvilléstheater, ausverkauft. Weitere Vorstellungen am 6., 8., 9. und 11. April, Restkarten unter Telefon 2185 1920