Interview

"Retnecboj“ vom Theaterstück zum Film: "Das ist wie ein Fluch"

Das Regieduo GrosseMaschen beschäftigt sich mit der Arbeitslosigkeit. Im Interview mit der AZ sprechen die beiden, was einen guten Horrorfilm ausmacht und wie Theater als Film funktioniert.
Mathias Hejny |
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Maria Lüthi in "Retnecboj".
Maria Lüthi in "Retnecboj". © Sofie Gross

München - Ursprünglich war "Retnecboj" als Inszenierung für Dasvinzenz in Neuhausen geplant. Doch Corona änderte alles und jetzt hat das Regieduo GrosseMaschen aus dem Bühnenwerk Kino gemacht. Der Titel wird weniger kryptisch, liest man ihn rückwärts: "Jobcenter". Nach "Münchner Kindl" von Franz Xaver Kroetz über die hiesige Wohnungssituation - das Theaterstück bleiben soll und deshalb bis auf Weiteres in der Pipeline bleibt - setzen sich Sofie Gross und Cornelia Maschner mit der Arbeitslosigkeit auseinander.

Der Fluch der Arbeitslosigkeit macht das Regieduo zum Horrorfilm

AZ: Frau Gross, Frau Maschner, Ihr Projekt wird als Horrorfilm angekündigt. Was reizte Sie an diesem Format?
CORNELIA MASCHNER: Es ist ein großartiges Genre, von Dingen für Erwachsene zu erzählen - mit dem Dampfhammer, so wie Stephen King das macht. Alles, was in der Familie in der Vorstadt unterdrückt wird, findet sich in der Kanalisation, und da ist der Horrorclown, der irgendwann kommt, um alle zu fressen. Es gibt die Splatterfilme, die in denen es hauptsächlich um Körperhorror geht, und es gibt die Filme, bei denen es um etwas anderes geht. Als wir uns mit Arbeitslosigkeit beschäftigten, stellten wir fest, dass man schon nach einem Jahr als Langzeitarbeitsloser gilt und den Stempel "Hartz IV" trägt, der an einem festkleben bleibt. Das ist wie ein Fluch.
SOFIA GROSS: Dieses Nichtentkommen, dieser Fluch hat uns auf das Horrorgenre gebracht. Da lag das Haunted House als Ort auf der Hand. Dieses Amt, dem du nicht mehr entkommst. Die Mechanismen dort sind so gestrickt, dass du gar nicht begreifst, was du eigentlich tun sollst. Ich liebe vor allem dieses "down the rabbit hole" wie in "Alice In Wonderland" oder in "Pans Labyrinth" von Guillermo del Toro, die auch mit Elementen des Horrorgenres spielen und dabei neue Welten aufmachen.

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Theater als Film: "Wir bedienen uns ganz klar auch bei Theatermitteln"

Das Ausweichen der Theater in das Internet stellt neue Fragen an die Wechselwirkung von Theater und Film. Wie viel Film und wie viel Theater machen Sie bei dieser Produktion?
MASCHNER: Das, was man sieht, ist filmisch gelöst, weil wir keine Lust hatten, eine pure Theateraufführung zu sehen, bei der die Kamera von vorne einmal draufhält. Das empfinde ich manchmal als sehr zäh. Aber die Vorbereitung mit den Schaupielerinnen und Schauspielern war theatrale Arbeit.
GROSS: Der Film verfolgt nicht eine Arbeitsweise, sondern wir haben in verschiedenen Szenen collagenhaft unterschiedliche Spielweisen. Da bedienen wir uns ganz klar auch bei Theatermitteln. Unser Kameramann Pius Neumaier, ein HFF-Absolvent, war geflasht von unserer Mischung von Film und Theater. Beim Dreh sagte er "Die spielen ja einfach weiter" - "natürlich", sagten wir, "das sind ja Theaterschauspieler!" Da die Schauspieler*innen es bereits als Theaterstück geprobt hatten, wussten sie immer, wie es weiter geht. So entstanden manchmal tolle Aufnahmen, weil die Spieler*innen voll drin waren und wir einfach die Kamera weiterlaufen ließen.

"Retnecboj" basiert auf einem Buch, literarischen Texten und journalistischen Stücken

Aus welchen Quellen schöpften Sie die Texte?
GROSS: Der Beginn unserer Arbeit war das Buch "Die Elenden" von Anna Mayer, die sehr ausführlich die Ära Schröder, die Einführung von Hartz IV und die Stigmatisierung der Arbeitslosen in unserer Gesellschaft beschreibt. Daraufhin haben wir angefangen, jounalistische Texte, Interviews oder Talkshows und auch literarische Texte wie von George Orwell zu sammeln. Daraus entstanden dann ganz neue Figuren.
MASCHNER: Es gibt eine Szene aus "Oliver Twist", wo eine Figur vorkommt, die sehr auf Geld aus ist, und die haben wir vermengt mit Zitaten von Julian Reichelt aus der Bild-Zeitung über Arbeitsklima in seiner Redaktion. Oder wir fanden Juwelchen wie einen Ausraster von Uli Hoeneß, der erklärte, wie wichtig das neue Stadion ist, es Leute gibt, die da viel Geld hineingesteckt haben und deswegen mehr zu sagen hätten. Das ist eine Denke, die unsere ganze Gesellschaft durchzieht.


dasvinzenz.de, Premiere am Dienstag, weitere Streams 16., 17., 23. April, 20 Uhr, 25. April, 18 Uhr.

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