Residenztheater: Die Party ist nicht vorbei

Nora Schlocker bringt Schimmelpfennigs "Der Kreis um die Sonne" zur Uraufführung im Münchner Residenztheater.
von  Michael Stadler
Scherben, Splitter, Puzzleteile: Ulrike Willenbacher, Yodit Tarikwa, Thiemo Strutzenberger im Bühnenbildsonnenlicht.
Scherben, Splitter, Puzzleteile: Ulrike Willenbacher, Yodit Tarikwa, Thiemo Strutzenberger im Bühnenbildsonnenlicht. © Birgit Hupfeld

Man mag sich kaum mehr daran erinnern können, aber es gab mal eine Zeit, da wurden Partys gefeiert, bei denen zig Menschen sich durch enge Flure drückten, die Küche bevölkerten, vis-à-vis miteinander redeten, auf dass die Speicheltröpfchen nur so durch die Luft flogen. Das neue Stück von Roland Schimmelpfennig, ein Auftragswerk des Residenztheaters und nun endlich uraufgeführt, katapultiert fast schon nostalgisch zurück in diese Zeit und ist gleichzeitig der Viren-Gegenwart spürbar verhaftet.

Durcheinandergekommenes Zeitgefühl während der Seuchen-Ära

In "Der Kreis um die Sonne" berichtet ein Grüppchen von Frauen und Männern, wie da eine Party abläuft, bevölkert den im Präsens gehaltenen Erzählraum mit einer Vielzahl Figuren, die aus allen möglichen sozialen Schichten stammen. Und steigen zwischendurch auch ins Spiel ein. "Die Professorin steht in dem übervollen Korridor, nimmt einen Schluck Rotwein und zieht dann an ihrer Zigarette", erzählt Ulrike Willenbacher auf der Bühne und schenkt sich daraufhin tatsächlich ein Glas Rotwein ein.

Die Vergangenheit und die Gegenwart sind bei Schimmelpfennig ineinander verschränkt, was dem durcheinandergekommenen Zeitgefühl während der Seuchen-Ära entspricht. Insgesamt entzieht sich sein Stück einer allzu direkten Beleuchtung der Pandemie. Von Hamstereinkäufen, Lockdowns oder Querdenkern ist bei ihm nicht die Rede, selbst das Wort "Corona" wird nie erwähnt. Stattdessen erklärt ein Partygast (Max Rothbart), der in der Filmindustrie arbeitet, das Erfolgsrezept der "schlimmsten Prämisse" und erwähnt als apokalyptisches Szenario auch eine Seuche, die auf einem Markt ausbricht.

Mit der Apokalypse hat Schimmelpfennig sich schon in "Der Riss durch die Welt" befasst. Das Stück, einst im Cuvilliéstheater uraufgeführt, handelte von einem reichen Paar, das eine Künstlerin und ihren Freund zum Dinner einlädt und mit ihnen geträumte wie reale Katastrophen erlebt. "Der Kreis um die Sonne" sollte eine Art Fortsetzung werden, und auch wenn Schimmelpfennig auf das Personal des ersten Stücks verzichtet, stellt er einige Analogien her. War ein zentraler Akt in "Der Riss durch die Welt", dass der Freund der Künstlerin aus Wut über die Arroganz der Reichen eine Rotweinflasche an die Wand wirft, so ist der Zusammenstoß eines Servierers mit der Gastgeberin Angelpunkt in "Der Kreis um die Sonne". Sein Tablett mit Gläsern fällt herunter, erneut gibt es tausend Scherben und Splitter.

Alle Corona-getestet, trotzdem Sicherheitsabstand

Rund um diesen Vorfall schwirren einzelne Puzzleteile, von denen manche sich zu Handlungsabläufen zusammensetzen. Nora Schlocker und ihr Team setzen gekonnt szenische Akzente, damit man sich in diesem Splitterwerk zurechtfindet. Zu Beginn taucht das siebenköpfige Ensemble vereinzelt durch einen Spalt auf, der sich in einer zu einem Winkel gefalteten Wand (Bühnenbild: Irina Schicketanz) auftut. Sie positionieren sich im Sicherheitsabstand zueinander: Corona-tauglich, obwohl alle getestet.

Es wird dann doch zu Berührungen kommen, zu einem Kuss zwischen zwei Frauen, die sich bei dieser Feier kennenlernen. Nora Schlocker fährt in solchen Momenten das Tempo herunter, kegelt die anderen Gäste mittels Drehbühne aus dem Blickfeld. Auch wenn die Party kurz vor Ausbruch der Pandemie stattfindet, kommen bestimmte Themen bereits zur Sprache. Zwei Anwältinnen und zwei Anwälte diskutieren, was höher einzuschätzen sei: der Schutz der Freiheit des Einzelnen oder der Schutz der Gesellschaft als Ganzem.

Thomas Reisinger spricht als Gastgeber von der Aufgabenverteilung in einem Bienenstock, wo nicht die wenigen Drohnen, sondern die Bienen die ganze Arbeit haben. Später wird das niedrige Gehalt einer Krankenpflegerin (Yodit Tarikwa) diskutiert.
Ausgerechnet sie, die Pflegerin, wird sich nicht nur verlieben (der Kuss), sondern am nächsten Tag Fieber bekommen. Nach ihrem Tod bekommt sie von ihrer Partybekanntschaft weiterhin Nachrichten aufs Handy geschickt, die ihr Freund (Thiemo Strutzenberger) beantwortet.

So geht das Leben nach dem Tod ein gespenstisches Stück weiter. Ein anderer Partygast, Maria, hat den Schlüssel zu einem Planetarium, in dem sie auch mal alleine auf den projizierten Sternenhimmel blickt. Schön, wie Carolin Conrad es schafft, im Residenztheater Weltraumatmosphäre herzustellen. Schlockers Inszenierung gönnt sich romantischen Momente, lässt, wie im Text vermerkt, einen Flügel auf der Bühne stehen, dem die Schauspieler elektronisch-verhallte, melancholische Töne entlocken. Eine Beschreibung des Alleinseins wiederholt Schimmelpfennig am Schluss seines Stücks. Bei Schlocker ist es Katja Jung, die noch einmal von der Einsamkeit erzählt. Davon, dass die "Angst kein Gesicht" hat. Und wie ihr Gesicht, gelehnt an eine Scheibe, verschwindet. Herzlicher Applaus am Schluss, von Menschen hinter Masken.


Nächste Termine: 13., 18. und 19. Juni, jeweils 19 Uhr, Karten unter www.residenztheater.de

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