Interview

Resi-Intendant Andreas Beck: Endlich wieder Kunst riskieren

Interview mit Intendant Andreas Beck über den Beginn der Saison am Bayerischen Staatsschauspiel.
von  Michael Stadler
Andreas Beck ist seit einem Jahr Intendant am Bayerischen Staatsschauspiel. Er hätte jetzt gerne mal eine "normale" Saison, aber Corona überschattet vieles.
Andreas Beck ist seit einem Jahr Intendant am Bayerischen Staatsschauspiel. Er hätte jetzt gerne mal eine "normale" Saison, aber Corona überschattet vieles. © Lucia Hunziker

MünchenAndreas Beck, geboren 1965 in Mülheim/Ruhr, studierte Kunstgeschichte, Soziologie und Theaterwissenschaft in München und Bologna. Seit einem Jahr ist er Intendant am Bayerischen Staatsschauspiel. Er hätte jetzt gerne mal eine "normale" Saison, aber Corona überschattet vieles. Doch, doch, ein bisschen entspannen konnte sich Andreas Beck nach einer turbulenten, weil Corona-durchkreuzten ersten Saison durchaus: In Griechenland verbrachte der Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels seinen Urlaub.

Seit Anfang September laufen die Vorbereitungen jedoch wieder auf Hochtouren, und natürlich macht die Corona-Pandemie weiterhin einiges unsicher. Immerhin: Ein Spielzeitheft gibt es jetzt, auch einen Flyer mit den Spielterminen für September und Oktober. Mit Ulrich Rasches Adaption von Kleists Novelle "Das Erdbeben in Chili" geht die Saison am Freitag los.

AZ: Herr Beck, wie optimistisch gehen Sie in diese Spielzeit?
ANDREAS BECK: Ich gehe in jede Spielzeit optimistisch, somit auch in diese. Als Theatermann muss man optimistisch sein: Ich muss mir immer vorstellen können, dass das, was wir probieren, auch funktioniert und gut werden wird.

"Endlich wieder über Inhalte sprechen"

Das Nationaltheater ist bereits Anfang September in die neue Saison gestartet und bekam in letzter Sekunde eine Genehmigung für 500 statt 200 Zuschauer. Sie wünschen sich wohl Ähnliches?
Ehrlich gesagt möchte ich gar nicht mehr über Genehmigungsverfahren reden, sondern endlich mal wieder über die Kunst! Wir sind ja allesamt keine Hygieniker und Abstandsvermesser, sondern dazu angehalten, Kunst zu ermöglichen und herzustellen. Ich glaube auch, dass das Publikum wieder Kunst und Theater sehen will. Wir arbeiten alle hart daran, sämtliche Bestimmungen zu erfüllen und beste Lösungen zu finden. Aber ich denke, wir müssen endlich wieder anfangen, über Inhalte zu sprechen und nicht nur über Maßnahmen.

Letztlich beeinflusst aber die Pandemie weiterhin die Planung und das Theatererlebnis im Raum.
Ja, natürlich. Ich denke auch, dass nach der ersten schwierigen Phase, während der die Häuser geschlossen wurden, jetzt die nächste schwierige Phase kommt, denn wir sollen und wollen wieder spielen, können derzeit aber im besten Falle nur mit einem Viertel der Einnahmen rechnen. Dass das schmerzhaft und irgendwann fatal sein wird, egal für welches Haus, ist hoffentlich allen klar.

Beck fordert einheitliche Regelsammlung 

Die vorgegebenen Sicherheitsabstände in den Theatern sind weiterhin ein Hauptproblem.
Wir sind alle bestrebt, vom 1,5-Meter-Sicherheitsabstand zumindest auf einen 1-Meter-Abstand zu kommen. Es ist ja von Bundesland zu Bundesland verschieden! Da muss ich jetzt mal wirklich sagen, liebe Staatsministerin Frau Grütters, schreiten Sie bitte ein! Das kann doch nicht wahr sein, dass jedes Bundesland unter anderen Bedingungen Theater machen soll. In der Bundesliga geht es ja auch anders.

Der Wunsch wäre also…
… dass es eine Regelsammlung gibt, in der die Bestimmungen, unter denen wir spielen dürfen, für alle einheitlich festgehalten werden und jedes Haus danach eigenverantwortlich Theater macht. Mit der starken Hoffnung, dass wir dann nicht mehr nur vor einem viertelgefüllten Saal spielen. Unsere Belüftungssysteme sind besser als die in den Bahnen und Bussen. Warum hat die Kunst die härtesten Auflagen? Man muss doch feststellen, dass jede Alltäglichkeit wieder neu eingeübt werden muss. Wenn wir morgen sagen, dass wir wieder vor größerem Publikum spielen könnten, wird sich die Nachfrage nicht sofort dem Angebot anpassen. Das haben wir schon am Ende der letzten Saison gemerkt, dass sich das Publikum an die neuen Bedingungen vorsichtig herantastet.

Immer wieder umarbeiten: Spielplan und Pandemie

Städtische Institutionen wie die Kammerspiele müssen mit 6 bis 7 Prozent weniger Budget in dieser Spielzeit auskommen. Rechnen Sie für Ihr Haus auch mit kommenden Sparrunden?
Ich fange jetzt sicherlich nicht an, vorauseilend zu überlegen, was für Sparmaßnahmen auf uns zukommen könnten. De facto haben wir enorm gespart, indem wir die Produktionen, die eigentlich für die zweite Hälfte der letzten Spielzeit geplant und gezahlt waren, jetzt oder später auf die Bühne bringen werden. Bei vier Produktionen waren die Proben schon vor dem Sommer weit gediehen oder abgeschlossen, so dass diese jetzt nur noch darauf warten, Premiere zu haben. Neun Produktionen haben wir insgesamt in diese Spielzeit integriert.

Einen dramaturgischen roten Faden für diese Saison zu entwickeln, war wohl kaum möglich.
Doch! Wir haben inhaltlich gedacht und gearbeitet. Der Spielplan war ja im März fertig, aber wir mussten ihn nach Ausbrechen der Pandemie gänzlich verwerfen und dann immer wieder neu umarbeiten. Ein Beispiel: Es war klar, dass Ulrich Rasche die Saisoneröffnung inszenieren wird, aber wir hatten uns mit ihm auf Kleists "Die Familie Schroffenstein" geeinigt. Dazu hatten wir bereits ein Bühnenbild entwickelt, aber nicht nur die Spieler müssen den Abstand einhalten, sondern auch die Technik, das gesamte Team, weshalb sich bestimmte Abläufe gerade auch hinter den Kulissen stark verändern müssen. Das Bühnenbild konnte also nicht realisiert werden.

Theaterstücke über Katastrophen und Miteinander 

Ulrich Rasche inszeniert jetzt eine Adaption von Kleists Novelle "Das Erdbeben in Chili"…
…was für mich einer der luzidesten Texte über eine Katastrophe ist! Man staunt, dass Kleists Text aus dem frühen 19. Jahrhundert so direkt auf unsere Gegenwart rekurriert. Das gilt auch für die anderen Stücke dieser Saison: Sie betrachten uns in dieser problemreichen, anderen Zeit.

Zum Beispiel?
Sebastian Baumgartens Inszenierung von "Dantons Tod" bespiegelt beispielsweise Aspekte des demokratischen Miteinanders: Wie können wir selbstbestimmt zusammenleben, wie kann das auch unter neuen, ungewohnten Bedingungen stattfinden? Und ich bin sehr froh darüber, dass Roland Schimmelpfennig für uns ein Stück geschrieben hat. Ich meinte zu ihm am Beginn des Lockdowns, ob er nicht einen zweiten Teil zu "Der Riss durch die Welt" schreiben möchte, der unsere Gesellschaft im Lockdown beschreibt. "Der Kreis um die Sonne" spielt am Scheitelpunkt des Lockdowns in der Zeit vor und nach dem Stillstand, wie sicher geglaubte Lebensumstände plötzlich kippen.

"Nicht nur Kunst wagen, sondern Kunst riskieren"

Sie haben im Januar beklagt, dass der Marstall endlich renoviert gehört. Zudem hängt ein neues Werkstätten- und Probenzentrum als Versprechen in der Luft. Der Sanierungsstau geht weiter?
Sie werden völlig überrascht sein: ja! Es ist in der Corona-Zeit nicht gebaut worden. Wir brauchen aber dieses Proben- und Werkstätten-Zentrum dringend. Unseren Proberaum im Kreativquartier mussten wir räumen, weil dort Wohnungen für Beamte entstehen. Wogegen ich absolut nichts habe: Für Beamte muss es in München billigen Wohnraum geben. Nur: Wir proben jetzt im zweiten Provisorium und Probebühnen sind nun mal nicht Räume, wo sich die Künstler ein bisschen warm machen, sondern dort entsteht unsere Kunst. Doch wenn die Kunst nirgends entstehen kann, dann gibt es irgendwann keine. Aber man ist sich des Problems bewusst. Schaun wir mal.

Im Oktober hat im Marstall das Projekt "Borderline" Premiere, das in Zusammenarbeit mit einem südkoreanischen Kollektiv entsteht. Wäre nicht gerade diese Inszenierung verzichtbar gewesen?
Wir haben uns natürlich nach dem Ausbruch der Pandemie überlegt, was jetzt zu tun ist, aber sowohl unser Schauspieler als auch das Team in Südkorea wollten das unbedingt machen. Es ist eine aufwändige Produktion, aber keine teure. Und eine, an der wir seit drei Jahren arbeiten und die wir anlässlich dreißig Jahre Wiedervereinigung zeigen möchten. Das ließ sich daher schwer verschieben.

Das wird wohl eines der ganz wenigen internationalen Projekte der nächsten Zeit sein.
Das denke ich auch. Aber ich finde diese Begegnungen immens wichtig. Womit wir wieder zum Anfang des Gesprächs zurückkehren: Wir müssen uns endlich wieder mit den Inhalten befassen. Es wird gerade das massiv erschwert, was uns als Menschen nicht nur auszeichnet, sondern was wir brauchen, nämlich der menschliche Kontakt und gegenseitige Austausch. Wir müssen wieder mutiger werden, nicht nur Kunst wagen, sondern Kunst riskieren. Es ist doch in den letzten Monaten deutlich geworden, dass der Mensch als soziales Wesen nicht nur vom Brot allein lebt, sondern ihn die Sehnsucht treibt, Dinge in Gemeinschaft zu erleben und sich darüber auszutauschen. Das Theater als vielleicht kollektivste Kunstform ist unter anderem aus diesem Grund von den alten Griechen erfunden worden.

Fakten, Fachleute für Fantasie und Poesie

Wollen Sie Eskapismus bieten oder die Realität spiegeln?
Lustigerweise durften wir im Sommer das Reich Fantasia in seiner Bestform erleben: Präsidenten, die sich eine Realität zusammenlügen und damit auch noch durchkommen; Menschen, die neben Leuten demonstrieren, die Reichsflaggen schwenken, und danach sagen, nö, Rechte gibt es bei uns nicht. Ich möchte den Verschwörungsgläubigen nicht nur argumentativ begegnen, denn es scheint eine Sehnsucht zu geben, den Fakten des Lebens auszuweichen. Wir müssen als Fachleute für Fantasie dem etwas Poetisches entgegenhalten. Und wir müssen ans Werk, damit diese falsche Mythen keine Wurzeln schlagen, sondern genau die Themen behandelt werden, die uns als Gemeinwesen verbinden und weiterbilden.

Das Zusammensein im Theater wird aber noch längere Zeit stark reglementiert.
Genau das ist das Problem: Wie können wir zusammenkommen, wenn praktisch jeder Versuch des kommunikativen und künstlerischen Austauschs als Angriff auf das Allgemeinwohl behandelt wird? Ich bin kein Corona-Leugner. Aber wir müssen schauen, wie verhältnismäßig die einzelnen Begrenzungen sind. Man muss auch mal bedenken, was alles an der Kunst dran hängt. Pro Abend werden allein die Bühnen der drei großen Theater, die hier in unmittelbarer Nachbarschaft liegen, im Regelfall von weit über 4.000 Leuten besucht. Überschlagen Sie mal, was über 4.000 Menschen in Gang setzen, vom Taxi bis zum Restaurantbesuch. Dieser Mehrwert, der durch die Kunst in die Stadt gebracht wird, droht gerade massiv wegzubrechen. Aber jetzt rede ich auch schon wirtschaftlich und nicht künstlerisch. Das macht diese Zeit.

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