Regisseur Roland Schwab über "Tristan und Isolde": Ein ewig faszinierendes Rätsel

Der Grüne Hügel überrascht heute ausnahmsweise mit gleich fünf Neuinszenierungen. In der zweiten Woche bringt Valentin Schwarz einen neuen "Ring" heraus - mit vier Premieren. Davor gibt es heute einen neuen "Tristan" mit Catherine Foster und Stephen Gould in den Hauptrollen.
Weil der ursprünglich vorgesehene Dirigent Cornelius Meister den "Ring" vom erkrankten Pietrai Inkinen übernommen hat, übernimmt kurzfristig Markus Poschner. Der in München lebende Regisseur Roland Schwab hat die Aufführung inszeniert.
AZ: Herr Schwab, Wagner verstand die Liebe in "Tristan" und auch in "Parsifal" als "furchtbare Qual" und schuldbeladene Angelegenheit. Können Sie damit etwas anfangen?
ROLAND SCHWAB: Ich bin in einem extrem christlichen Elternhaus aufgewachsen, in einem freikirchlichen Milieu. Da waren Sexualität und Sünde sehr nahe beisammen. Man wächst in Schuld auf und muss als Jugendlicher seinen Weg finden. Deshalb gehen mich auch Geschichten wie Wagners "Tannhäuser" etwas an. Martin Walser, der ebenfalls in einem religiösen Kontext aufgewachsen ist, hat einmal davon gesprochen, dass das auch zum Stimulus werden kann, denn wenn etwas gratis ist, gibt es keinen Kick. Ich bin nicht dafür, aber ich kann es gut verstehen.
Der "Tristan" kam ja eher kurzfristig auf Sie zu.
"Tristan" hat mich schon lange beschäftigt, ohne dass ich konkrete Regiegedanken dafür entwickelt hätte. Aber das geht schnell, wenn man sich in einem Werk zu Hause fühlt.
Die erste Begegnung mit "Tristan und Isolde"
Wie war Ihre erste Begegnung mit dieser Oper?
Ich dachte mir als Jugendlicher, dieses ultimative Erlebnis spare ich mir auf, kaufe keine Gesamtaufnahme und höre nur einen Querschnitt. Sonst habe ich nichts mehr für später. Heute ist für mich erstaunlich, dass "Tristan" mit einem reift und weiter wächst. Diese Partitur hat keine Halbwertszeit, sie verdoppelt und verdreifacht ihren Gehalt mit den Jahren. Man staunt immer mehr, die Faszination nimmt zu.
Wann waren Sie zum ersten Mal in einer "Tristan"-Aufführung?
Das war während meines Studiums in Hamburg die Inszenierung von Ruth Berghaus - die galaktische Architekturlandschaft ließ mich abheben. Ermöglicht wurde das durch ein hypnotisches Dirigat von Christian Thielemann. Dieses Gefühl hat sich bisher in keiner weiteren Aufführung wiederholt. Solche Paradiese hält man sich im Kopf. Ich spiele am Klavier immer wieder "Tristan". Das Vorspiel konnte ich eine Zeit lang auswendig spielen. Wenn man paar wenige Seiten der gesamten Musikliteratur auswendig können sollte, dann die vom Vorspiel. Es ist einfach der sinnlichste Kontrapunkt, der bis dahin komponiert wurde. Erst Gustav Mahler hat Ähnliches erreicht.
Die musikalische Seele des Starnberger Sees
Entwickeln Sie Inszenierungen am Klavier? Manchmal posten Sie auch Fotos mit Klavierauszug am Starnberger See.
Der Starnberger See ist ja ein besonders musikalischer See. Es gibt die Brahms- und es gibt die Wagnerseite. Mit Blick hinüber zu Wagner lässt es sich immer gut arbeiten. Zum Klavier: Wenn ich ganz genau in die Klangwelt einer Oper eintauchen will, und auch wenn ich an einer Stelle sonst nicht weiterkomme, gehe ich ans Klavier. Oft entwickelt man darüber ein besonderes Gespür und überwindet auch Blockaden.
Details dürfen Bayreuth-Regisseure traditionell nicht verraten. Trotzdem: Aber was ist für Sie der Kern von "Tristan und Isolde"?
Es ist eine Symphonie des Todes, eine Symphonie mit Stimmen. Wagner hat selbst gesagt, er müsse sich mit diesem Werk ausrasen. Von Symphonie spreche ich, weil im zweiten Akt Text und Musik zu einer Einheit verschmelzen. Die Sprache wird immateriell und sekundär, es könnten auch Laute sein. Weil "Tristan" - überspitzt gesagt - kein Drama ist, sondern eine Symphonie, braucht dieses Werk eine ganz eigene Herangehensweise.
Eine Symphonie braucht keine Bühne, sie ist ein Kopftheater. Nicht umsonst wird der zweite Akt hin und wieder konzertant aufgeführt.
Wir sitzen eben im Hofgarten, hier, nebenan im Herkulessaal, habe ich eine der stärksten Wagner-Aufführungen erlebt, einen konzertanten "Parsifal" unter Daniel Barenboim.
1989 war's, da ich auch drin - mit Waltraut Meier, Dietrich Fischer-Dieskau, Kurt Moll und Robert Schunk...
...diese Aufführung hat bei mir für größere Glücksgefühle gesorgt wie jeder szenische "Parsifal". Wenn ich mit Kopfhörern in einem bequemen Sessel sitze und eine gute Einspielung höre, erlebe ich womöglich ein Optimum, dessen Transzendenz durch die Szene leicht beschädigt werden kann. Deshalb ist es für mich ein heikles Unterfangen, "Tristan" auf die Bühne zu bringen.
Sirenengesang wie bei Pink Floyd
Ist Tristan zu perfekt?
Werke, die ein wenig schwach auf der Brust sind, inszenieren sich leichter. Die Dramaturgie von Wagner ist einzigartig, unglaublich komplex, etwa im zweiten Akt, wenn das Liebespaar Brangänes Warnrufe als betörend schönen Sirenengesang erlebt. Das ist wie Pink Floyd - aber noch einmal weitergedacht: Tristan und Isolde verweben die Warnung in ihren wonnetrunkenen musikalischen Kosmos. Auch schon am Anfang des Akts hört sich Isolde die Jagdhörner schön. Das sind Momente, die mich jedes Mal wieder staunen lassen. Wie unerhört psychedelisch Wagner ist.
Im dritten Akt hat der Regisseur das Problem eines langen, schwer zu singenden Monologs.
Tristan befindet sich in einem Zustand hypnotischer Langsamkeit zwischen Hoffen und Bangen, in dem nichts vorangeht. Man muss als Regisseur ein langsames Kontinuum wahren, das nie zum Stillstand kommt. Die Crux dabei ist, das erfahrbar zu machen, den Zuschauer dabei aber nicht selber in lähmende Stagnation zu versetzen.
Der Liebestod als Halluzination?
Und der Liebestod?
Der weitet die Situation, als Gegenwelt. Man könnte natürlich sagen: Eine Halluzination! So wurde es auch schon inszeniert. Aber da bringt man sich um eine schöne Botschaft: Eine Idee, die abhebt und weiterführt. Die Liebe, die weiterlebt, durch alle Zeiten. Letztendlich hat da die Musik als Rausch, Sog und Erlebnis eine eigene Wahrheit. Deswegen kommen wir auch von Wagner nie los.
Aber wir ärgern uns auch über ihn.
Wagner ist der Künstler und Mensch des Widerspruchs. Er ist unglaublich deutsch und dabei - wie Nietzsche gesagt hat - das Gegengift zum Deutschen par excellence. Das macht ihn ewig faszinierend. Wagner steht in seinen Schriften für das "berüchtigte" Deutsche, aber er hat zugleich in einer universalen Musiksprache von einer Schönheit komponiert, die alles Deutsche überwindet. Deswegen wird er der Welt ein ewig faszinierendes Rätsel bleiben.
BR Klassik überträgt die Premiere heute ab 16 Uhr. Bei den Festspielen heuer ist vorerst nur eine weitere "Tristan"-Vorstellung am 12. August vorgesehen, eine Wiederaufnahme erfolgt 2023.