Interview

Regisseur András Dömötör: "Die Luft geht ganz langsam aus"

András Dömötör über Labiches "Die Affäre Rue de Lourcine" im Residenztheater.
von  Mathias Hejny
Saufen bis zum Filmriss: Mareike Beykirch, Thomas Lettow und Michael Wächter in "Die Affäre Rue de Lourcine".
Saufen bis zum Filmriss: Mareike Beykirch, Thomas Lettow und Michael Wächter in "Die Affäre Rue de Lourcine". © Sandra Then

Vom umfangreichen Werk des Pariser Komödiendichters Eugène Labiche aus der Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich vor allem "Die Affäre Rue de Lourcine" bis heute frisch gehalten. Schon der Beginn ist ein Theatercoup: Der Rentier Lenglumé hat in seinen Namenstag so heftig hineingefeiert, dass er sich am nächsten Morgen an nichts mehr erinnern kann.

Statt dessen liegt er zusammen mit einem Unbekannten im Bett und im Folgenden häufen sich die Hinweise, dass er in der Nacht einen Mord begangen haben könnte. Heute hat das Stück Premiere im Residenztheater in einer Inszenierung von András Dömötör. Der ungarische Regisseur hatte sein München-Debüt vor zwei Jahren mit "Marienplatz" des polnischen Autors Beniamin Bukowski gegeben.

András Dömötör wurde 1978 in Zalaegerszeg geboren. Er studierte Schauspiel und Regie an der Akademie für Theater und Film in Budapest, wo er heute lebt. Seit 2009 arbeitet er als Regisseur.
András Dömötör wurde 1978 in Zalaegerszeg geboren. Er studierte Schauspiel und Regie an der Akademie für Theater und Film in Budapest, wo er heute lebt. Seit 2009 arbeitet er als Regisseur. © Daniel Domolky

AZ: Herr Dömötör, das Stück beginnt mit einem Filmriss. Hatten Sie selbst schon einmal einen solchen Blackout?
ANDRAS DÖMÖTÖR: So betrunken, dass ich mich an nichts mehr erinnern kann, war ich noch nie. Niemals. Ich kann mich nur an einen Schwips erinnern, bei dem ich mich leicht fühlte und keinen Schmerz mehr empfand.

"Es ist nicht wirklich eine Boulevardkomödie, sondern mehr eine Farce"

Labiche ist einer der Väter des Boulevardtheaters. Wie komisch wird es bei Ihnen?
Es ist nicht wirklich eine Boulevardkomödie, sondern mehr eine Farce. Sie unterscheidet sich vom Boulevard ein wenig, denn dort sind die Figuren detailreicher und liebenswerter gezeichnet. Am Ende gibt gibt es eine wie auch immer geartete Lösung. Die Farce ist viel dunkler, direkter und auch brutaler. Das ist es, was mir an diesem Stück gefällt. Ich hoffe natürlich, wir können die Komödie erhalten, aber mir ist auch die dunkle Seite des Stücks mit ihrer Möglichkeit eines Mordes wichtig.

Vor zwölf Jahren tanzten Lenglumé und Mistingue in der damaligen Inszenierung im Cuvilliéstheater Cancan. Spielen bei Ihnen Tanz und Musik eine besondere Rolle?
Wir haben eine ganze Menge Musik. Es ist ein Vaudeville-Stück, in dem auch über Musik gesprochen wird. Dass es Couplets gibt, ist Teil des Genres. Tamáz Matkó komponierte die Musik dazu und auch das Sounddesign.

Sie verwenden die Übersetzung von Elfriede Jelinek. Warum entschieden Sie sich dafür?
Das ist ganz klar. Ihr Text ist großartig, viel flüssiger und viel komischer als die anderen Übersetzungen. Wir haben auch ein wenig umgeschrieben und aus Improvisationen Assoziationen für unsere Gegenwart entwickelt.

In Ungarn herrscht politischer Druck auf Theatern

Sie inszenieren nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern auch in Ihrem Heimatland Ungarn. Wie unterscheidet sich die Arbeit zwischen diesen Ländern?
Das Wichtigste ist, dass sich die Theatersysteme nicht besonders unterscheiden. Es sind immer Stadt- oder Staatsheater mit eigenen Ensembles, was in Europa nicht selbstverständlich ist. Jeder, ob Schauspieler, Regisseur oder Dramaturg, kann sich innerhalb dieser Ensembles entwickeln. Ich schätze diese Verbindung sehr. Auch die Theatertraditionen sind sich sehr ähnlich. Bei Deutschland und Österreich überrascht das nicht, aber auch Ungarn ist sehr ähnlich, was wohl mit der Vergangenheit als Doppelmonarchie zusammenhängt. Die deutschsprachige Literatur ist präsenter als französische oder englische Werke. Was den Unterschied macht, ist der politische Druck in Ungarn auf die Theater.

Was bedeutet das für die Produktion von Theater?
Eine freie Arbeit ist dort nicht mehr möglich. Es gibt nur noch wenige freie Bühnen, für die ich gelegentlich noch arbeite. Doch die Frustration ist groß. Als ich 2007 als Regisseur begann, gab es noch zehn oder zwölf Theater im Land und in Budapest, mit denen ich gerne zusammengearbeitet hätte. Inzwischen sind es zwei oder drei. Diese Kultur hat sich stark veändert. Der Einfluss auf das Repertoire ist enorm.

In Ungarn haben Künstler immer weniger Möglichkeiten, zu arbeiten

Welcher Art sind diese Einflüsse?
Im Wesentlichen werden mehr Boulevardstücke gezeigt und auch Operetten oder nationale Dramen. Die Ästhetik kehrt zurück in die Fünfziger und Sechziger Jahre. Das ist ein sehr traditionelles Theater. Vor allem richtet es sich gegen eine Interpretation des Regisseurs. Es geht nur noch um Kitsch und um die Wahrung einer nationalen Identität. Seitens der Kulturpolitik wird völlig offen ausgesprochen, dass man keine kritischen Stimmen mehr brauche.

Haben Sie eine Idee, wie die Zukunft in Ihrem Land aussehen könnte?
Ich mache meine Arbeit, aber was danach geschieht, weiß ich nicht. Ein renommiertes Theater, in dem ich inszeniert habe und das seit 30 Jahren besteht, soll in zwei Jahren geschlossen werden. Die Luft geht ganz langsam aus und Künstler haben dort immer weniger Möglichkeiten, zu arbeiten.


Premiere am 18. November um 19.30 Uhr im Residenztheater. Nächste Vorstellungen am 24. November, 19.30 Uhr, 29. November, 20 Uhr, Karten online und unter Telefon 21851940

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