"Radikal jung" wird weiblicher
Mit unheilvollen Ankündigungen lassen sich manche Stücke durchaus gut bewerben. Das weiß auch Festivalleiter Kilian Engels und zitiert eine Rezension, die auf dem Online-Portal „Time Out New York“ zu der in New York uraufgeführten Performance „[50/50] old school animation“ erschien. „Gib ihnen fünfzig Minuten und sie werden sich ein Jahr deines Lebens nehmen“, heißt es da.
Mit „sie“ sind die amerikanischen Performerinnen Mo Fry Pasic und Julia Mounsey gemeint, die sich in knapp einer Stunde mit diversen Phänomen von Gewalt auseinandersetzen, im Internet, im Alltag, vor allem in Bezug auf Frauen.
Offenbar prägen die beiden sich dabei nachhaltig ein, was schon ein wenig traumatisierend klingt, aber natürlich möchte man gerade solche Theatererlebnisse nicht missen. Insofern darf man sich auf das Gastspiel von “[50/50] old school animation” bei Radikal jung freuen, die erste eingeladene US-Produktion überhaupt, während in anderen Ausgaben auch mal verstärkt nach Israel geblickt wurde.
Am Puls der Zeit
Im Lauf der Zeit hat sich das Festival vergrößert. Die jetzige, 15. Ausgabe sei die größte, stellt Kilian Engels fest und bedankte sich unter anderem für den finanzkräftigen Einsatz des Kulturreferats. Zuvor in dieser Pressekonferenz der gegenseitigen Danksagungen lobte Kulturreferent Hans-Georg Küppers die Jury dafür, dass sie es über die Jahre hinweg geschafft habe, am Puls der Zeit zu bleiben.
Das Theater wandelt sich ja beständig und schaut man in das erste Programm von 2005, dann stehen dort noch einige bekannte, meist männliche Namen wie William Shakespeare, Schiller und Büchner, während bei den Titeln der letzten Festivaljahrgänge, ach, so gar kein inneres Glöckchen mehr klingeln wollte. Allein der gute alte Johann Wolfgang von Goethe taucht in der diesjährigen Auswahl als bekannter Vertreter des klassischen wie fragwürdigen Theaterkanons auf.
Aber was Regisseurin Leonie Böhm mit ihm und Faust macht, ist vor allem eine heitere Dekonstruktion verrosteter Geschlechterrollen. Nachdem die Kammerspiele 2018 mit „Mittelreich“ vertreten waren, sind sie es jetzt mit Böhms „Yung Faust“, was schönerweise ein Wiedersehen mit Ex-Jurorin Annette Paulmann bedeutet, nur dass sie jetzt selbst mit Julia Riedler und Benjamin Radjaipour auf der Bühne steht und sich durch den Johann Wolfgang von Goethe plantscht.
Auch das Residenztheater ist dabei
Statt Paulmann ist nun die Theaterkritikerin Christine Wahl in der Jury und hat zusammen mit Kilian Engels und dem Publizisten C. Bernd Sucher aus neunzig Produktionen fünfzehn ausgesucht, die vom 27. April bis 5. Mai auf diversen Bühnen, vor allem im Volkstheater, gezeigt werden.
Nicht nur die Kammerspiele, auch das Residenztheater ist eingeladen, mit Blanka Rádóczys Marstall-Inszenierung von „Der Mieter“. Dadurch, dass auch das freie, vom Kulturreferat geförderte Frauenkollektiv „The Agency“ mit dem Selbstoptimierungs-Workshop „Medusa Bionic Rise“ eingeladen ist, ergibt sich ein kleiner München-Schwerpunkt, was wohl kein Zufall ist, sondern vielmehr zeigt, wie sich Radikal jung nicht nur über die Stadtgrenzen hinaus, sondern gerade auch innerhalb der Stadt vernetzen will.
Gute, junge Regisseurinnen und Regisseure gibt es überall, und das Volkstheater hat schon in der Vergangenheit Talente im Planschbecken von Radikal jung ganz eigennützig sich angeln können. Nora Abdel-Maksoud ist zum dritten Mal eingeladen. Sie hat mittlerweile bei Stückl „Sie nannten ihn Tico“ inszeniert. Ihre selbstgeschriebene Inszenierung „Café Populaire“ eröffnet das Festival (am 27. April, 20 Uhr, Große Bühne) und nimmt den Mittelstand, also uns alle, aufs Korn.
Angriff auf das Patriarchat
Am Anfang eine Komödie also, und am Ende auch: Eugène Labiches Farce „Um die Wette“ (5. Mai, 20 Uhr, ebenfalls Große Bühne) hat Philipp Moschitz für das Landestheater St. Pölten inszeniert, wobei der gebürtige Osnabrücker Moschitz Schauspiel an der Theaterakademie August Everding studierte und mit dem Metropoltheater sowohl spielend wie regieführend verbunden ist.
Es ist aber beileibe nicht alles münchnerisch gefärbt: Christina Tscharyiski etwa hat es bei Radikal jung 2018 mit „Ja, eh! Beisl, Bier und Bachmannpreis“ herrlich wienern lassen und ist nun gleich mit einem Double Feature eingeladen. Dabei haben beide Stücke etwas mit der österreichischen Autorin Marlene Streeruwitz zu tun: Alice Birchs „Revolt. She Said. Revolt again“ hat Streeruwitz ins Deutsche übersetzt, „Mar-A-Lago“ hat sie gleich selbst geschrieben.
Fünf Frauen treffen da auf einen Regisseur, mit dem sie alle mal was hatten, und es klingt nicht so, als ob das Patriarchat heil davon kommen könnte. Das passt zu einem Festival, bei dem zum dritten Mal mehr Regisseurinnen als Regisseure eingeladen sind. Die Ratio beträgt 14 zu 5, darunter sind zwei weiblich-männliche Regieduos. Zudem wird bei Publikumsgesprächen diskutiert und bei Partys getanzt – stundenlang oder nachhaltig kurz.
Vom 27. April bis 5. Mai, Programm: www.muenchner-volkstheater.de
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