Puccinis "Tosca" mit Anna Netrebko: Alltag als Fest

Salzburger Festspiele: Giacomo Puccinis "Tosca" mit dem Ehepaar Netrebko im Großen Festspielhaus.
von  Robert Braunmüller
Anna Netrebko beim Schlussapplaus
Anna Netrebko beim Schlussapplaus © SF/Marco Borrelli

Die besten Aufführungen entstehen in Salzburg durch den kontrollierten Zusammenprall des Unerwarteten, wenn etwa die Wiener Philharmoniker Luigi Nonos Oper "Intolleranza" spielen, ein Exzentriker auf Mozart trifft oder - hoffentlich - am Dienstagabend der für Spätromantik berühmte Daniil Trifonov sich mit Bachs gestrenger "Kunst der Fuge" auseinandersetzt.

Nicht in diese Kategorie gehört Giacomo Puccinis Primadonnen-Reißer "Tosca" mit Anna Netrebko im Großen Festspielhaus. Die Sängerin riskiert nichts mehr. Am liebsten tritt sie mit ihrem Ehemann auf: als eingespieltes Team. Und im Graben steht - bestenfalls - wie in Salzburg ein Dirigent wie Marco Armiliato, der König aller italienischen Repertoirevorstellungen zwischen Wien, München und New York.

Und so klingt's dann auch: Nichts geht schief, alles ist ordentlich und als gehobene Markenware in seiner Qualität absolut erwartbar. Wer Kunst und nicht nur ein Promi-Event erwartet, dürfte sich aber langweilen. Das hat nicht nur mit mangelnder Risikofreude aller Beteiligten zu tun, sondern auch mit einer Tendenz zum Eindimensionalen, weil Anna Netrebko bereits als Diva die römische Kirche Sant'Andrea della Valle im ersten Akt betritt.

Ludovic Tézier als Scarpia.
Ludovic Tézier als Scarpia. © SF/Matthias Horn

Die Entwicklung vom naiven jungen Mädchen zur Heldin und Rachegöttin bleibt musikalisch unerzählt, auch deshalb, weil sich ihre stark nachgedunkelte, mittlerweile fast mezzohaft statuarische Stimme für das nervöse, von Stimmungsschwankungen geprägte Duett des ersten Akts kaum eignet.

Ludovic Tézier überzeugt

Toscas übertriebene - für die Handlung entscheidende - Eifersucht bleibt moderat. Weil Yusif Eyvazov auch nicht der gerade der oberste aller musikalischen Detailfeilmeister ist, wird hier zu erhöhten Preisen ein Aboabend der Wiener Staatsoper geboten. Aber nichts Ungewöhnliches, was das Ausnahmewort "Festspiel" rechtfertigen würde.

Das ändert sich, wenn Scarpia die Bühne betritt. Ludovic Tézier steht für das gesamte Spektrum dieser Rolle: Er ist nicht - wie andere Vertreter dieser Rolle - nur brutal und laut. Bei ihm gibt es auch Zwischentöne verborgener Lüste und Hinterhältigkeit.

Tézier interpretiert die Partie mit der einerseits Subtilität eines Liedinterpreten, lässt andererseits aber an Kraftstellen wie im "Te Deum" keinen Wunsch offen. Dass die Stimme für die Rolle vielleicht etwas zu hell ist, macht der Sänger mit Kunstfertigkeit wett: Kurzum, ist der beste Scarpia seit Bryn Terfel.

Netrebko überrascht

Im zweiten Akt überrascht die Netrebko mit ein paar unüblichen Nuancen wie einem geflüsterten "Assassino!" und der erst leise gestellten Frage nach dem "Prezzo", dem Preis für die Freilassung Cavaradossis. "Vissi d'arte" ist kein Wendepunkt oder gar ein Akt existenzieller Verzweiflung, sondern vor allem eine berühmte Arie. Denn die frühere Kunst der Sängerin, eine Figur und ihre Situation vor allem durch die Färbung der Stimme zu charakterisieren, ist der Liebe zu eher pauschalen Wirkungen und der undramatischen Vorführung schöner Kantilenen gewichen.

Anna Netrebko mit Yusif Eyvazov in Puccinis "Tosca" im Großen Festspielhaus
Anna Netrebko mit Yusif Eyvazov in Puccinis "Tosca" im Großen Festspielhaus © SF/Marco Borrelli

Marco Armiliato zelebriert den Klang der extrem wohllautenden, bisweilen auch bis zur Brutalität aufgeheizten Wiener Philharmoniker. Und weil er im Zweifel den Sängern nachgibt, wird die Aufführung vor allem im zweiten Akt immer langsamer. Sängerstars mag ein solcher Dirigent behagen, mit Theater hat sein Stil wenig zu tun: Es ist die auf eine Opernvorstellung übertragene Ästhetik eines Arienabends.

Angesichts der peniblen Genauigkeit, mit der nebenan in der Felsenreitschule jeder Wunsch Nonos berücksichtigt wird, kommt bei der unhörbaren Orgel und einer tiefen Glocke aus der elektronischen Steinzeit, die offenbar von Karajans "Parsifal" übriggeblieben ist, Verwunderung bis Ärger auf. Außerdem setzt der Dirigent an Stellen, wo üblicherweise in die Musik hineingeklatscht wird, vorbeugend von Puccini nicht vorgesehene Zäsuren. Peinlicherweise war dem Publikum aber nach Eyvazovs "Recondita armonia" gar nicht zum Klatschen zumute.

Yusif Eyvazov: Nicht mehr so hölzern wie zuletzt

Was auch wieder unfair ist. Mr. Netrebko singt mit einer farbenarmen, metallischen Stimme zwar im Zweifel laut und krähend. Hier ist er aber halbwegs rollendeckend besetzt ist, weil die Partitur seinem Willen zum Kraftgesang entgegenkommt. Unter normalen Umständen wäre Eyvazov eine Stütze italienischer Repertoirevorstellungen an größeren Häusern, aber niemals der Cavaradossi der Salzburger Festspiele. Wenigstens wirkt er als Darsteller nicht mehr so hölzern wie zuletzt.

Yusif Eyvazov im dritten Akt von "Tosca".
Yusif Eyvazov im dritten Akt von "Tosca". © SF/Matthias Horn

Gezeigt wird die Wiederaufnahme einer Inszenierung des "Jedermann"-Regisseurs Michael Sturminger, die 2018 bei den Osterfestspielen unter Christian Thielemann mit Anja Harteros herauskam. Sie versetzt die Geschichte aus den napoleonischen Kriegen in ein klerikalfaschistisch regiertes Italien, in dem eher unsympathische Untergrundkämpfer herumballern.

Das hat man so ähnlich auch in Augsburg und anderswo gesehen. Aber es funktioniert mit einigen Abstrichen als Thriller. Manches aber bleibt völliger Unsinn. Und dabei reden wir gar nicht vom überlebenden Scarpia, der Knabenkillerschule oder der Kirche mit eingebauter Tiefgarage, sondern nur von einer Morgendämmerung im Westen hinter dem Petersdom.

Die geplanten Übertragungen wurden vom Sender und den Festspielen abgesagt.

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