Prinzregententheater: Im Sog des fremden Ritus

Musica viva: Das National Gugak Center aus Seoul mit einem koreanischen Ahnen-Ritual im Prinzregententheater.
von  Robert Braunmüller
Inspiration auch für europäische zeitgenössische Musik: konfuzianische Ritualmusik.
Inspiration auch für europäische zeitgenössische Musik: konfuzianische Ritualmusik. © National Gugak Center

Es ist ein wenig in Vergessenheit geraten, aber zum Programm der musica viva gehörten immer Seitenblicke auf die ganz alte Musik und außereuropäische Kulturen. Das ist insofern zwingend, weil sich die westliche Avantgarde seit Debussy im Klang und bei der Harmonik Einflüssen aus Asien geöffnet hat.

National Gugak Center aus Seoul zeigte das Jongmyo Jeyeak

Am Freitag eröffnete die zeitgenössische Konzertreihe des Bayerischen Rundfunks ihre Saison mit einem Gastspiel aus Korea im Prinzregententheater. Das National Gugak Center aus Seoul zeigte das Jongmyo Jeyeak, ein konfuzianisches Ritual zur Ehrung der Joseyon-Dynastie, die das Land ein halbes Jahrtausend vom Spätmittelalter bis zur Besetzung durch Japan am Beginn des 20. Jahrhunderts regierte.

Ursprünglich gehörte auch die Opferung von Wein und Essen sowie die Verbrennung der benutzten Papiere zu diesem Ritual. Im Prinzregententheater war nur die museale Außenseite zu sehen: eine gut 80-minütige Vorführung der Musik einschließlich der zeremoniellen Tänze.

Das Orchester besteht aus 40 Musikern

Das Ritual beschäftigt ein Orchester aus rund 40 Musikern. Bambusflöten, klarinettenartige Instrumente und gestrichene und gezupfte Zithern verdoppeln den einstimmigen Gesang zweier Sänger, der von Schlägen auf Gongs und Bronzeglocken untermalt wird. Die getragenen Melodien ändern sich – für westliche Ohren – kaum. Die Statik der Musik kann nerven, aber auch einen ganz eigenen Sog entwickeln. Der Gesang lobt die Ordnungsmacht von Königen und die Abwehr japanischer Invasoren zur Zeit des hiesigen Spätmittelalters und der Renaissance.

Dazu tanzt sehr würdig und feierlich eine Gruppe von Damen, später, beim kriegerischen Tanz, treten auch Herren mit Holzschwertern auf, ohne besonders furchterregend zu wirken. Zwischen den einzelnen Szenen erklang eine Klapper, außerdem wurde mit einem Stab auf eine Kiste gestoßen. Einer der Musiker ließ mit einer Rute den Rücken einer große katzenartigen Holzfigur schnurren, außerdem wurde eine Fahne mit einem Drachen gesenkt und gehoben.

Was hat das mit Neuer Musik zu tun?

Das alles geschah mit höchster Würde. Aber was hat das mit Neuer Musik zu tun? Eine ganze Menge. Zeitgenössische Komponisten orientieren sich immer wieder an asiatischer Ritualmusik. Insofern lohnt es sich, auch das Original zu kennen.

Und weil die westliche Musik heute weltbeherrschend auftritt, schadet es hiesigen Hörern nie, sich hin und wieder einer nicht minder komplexen exotischen Musikkultur auszusetzen, bei der ein Unterschied überrascht: Die koreanischen Instrumentalisten sehen in ihren roten Kostümen noch uniformer aus als ein befracktes Orchester. Dessen höchster Wert, der präzise gemeinsame Einsatz, scheint bei koreanischer Ritualmusik eher nachrangig zu sein. Aber daraus entstehen die interessantesten klanglichen Schwebungen, die das Ohr so schnell nicht vergisst.

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