Peter Sloterdijk und Jörg Widmann über ihre Oper "Babylon"

Die Staatsoper wagt zum Saisonauftakt die Uraufführung „Babylon“ – mit der Musik des Münchners Jörg Widmann und dem ersten Libretto des Philosophen Peter Sloterdijk
von  Robert Braunmüller

Die Staatsoper wagt zum Saisonauftakt eine Uraufführung – mit der Komposition des Münchners Jörg Widmann und dem ersten Libretto des Philosophen Peter Sloterdijk

Die Oper „Babylon“ erzählt von Liebe, Freundschaft und dem Aufeinanderprallen der jüdischen und babylonischen Kultur. Es gibt eine Sintflut, Menschenopfer und einen Besuch in der Unterwelt. Der Philosoph Peter Sloterdijk schrieb den Text, Jörg Widmann komponierte die Musik. Uraufgeführt wird sie am Samstag ab 19 Uhr im Nationaltheater. Carlus Padrissa von La Fura dels Baus inszeniert.

AZ: Herr Sloterdijk, wie wird man Librettist?
PETER SLOTERDIJK: Schuld ist ein Gespräch, das wir auf der Terrasse des Hotels Stein in Salzburg geführt haben, bei schönem Wetter und einigen Gläsern österreichischen Weißweins. Wir blickten über die Salzach auf die Stadtlandschaft und fingen an, gemeinsam Bilder zu halluzinieren. Am nächsten Tag sagte mir Widmann, er höre schon die ersten Klänge. Da war ich in der Falle.

Warum Babylon?
JÖRG WIDMANN: Das Thema gärte jahrelang in mir. Der Turmbau und die Sprachverwirrung stehen nicht im Zentrum, aber sie kommen musikalisch vor.

Wie klingt ein Turm?
WIDMANN: Die Oper verjüngt sich wie ein Zikkurat, ein mesopotamischer Tempelturm. Die erste Szene dauert 45 Minuten, die Sintflut 30 Minuten, der Karneval 25 Minuten, die Bibelexegese 20 Minuten. Dann wird es noch einmal etwas breiter, weil ich nicht restlos konsequent sein will. Das sechste und siebte Bild sind wieder kürzer.

Und wie vertonen Sie die Sprachverwirrung?
Jedes Bild klingt anders, allerdings nicht im Sinn postmoderner Beliebigkeit. Vor dem überbordend- heiteren Karneval steht die Sintflut-Szene, eine Oper in der Oper. Sie könnte dunkler und bestürzender kaum sein. Hier habe ich Kräfte entfesselt, die ich kaum beherrschen konnte. Die Extreme haben mich beim Schreiben so zerrissen, dass ich fast hingeworfen habe.

Was reizt einen Philosophen an diesem Stoff?
SLOTERDIJK: Es gab immer wieder Anläufe, die Geschichte der Vernunft in Frage zu stellen und mit der Behauptung aufzutreten, tiefere Wahrheit seien in den Mythen gebunden, während die sich selbst überlassene Rationalität nur Zerstörung bewirke. Es geht mir darum, der Reaktion den Mythos zu entreißen und ins Humane zu wenden. Babylon wurde zwei Jahrtausende durch die biblische Brille betrachtet, die mit der Stadt sehr ungnädig umgeht. Erst mit der Entzifferung der Keilschrift tauchte hinter der griechisch-römischen Antike eine Antike zweiter Ordnung auf.

Ihr Text enthält präzise Regieanweisungen. Erwarten Sie, dass Sie das alles sehen?
SLOTERDIJK: Nein. Ich wollte dem Regisseur keine Vorschriften machen. Das sind evokative Hinweise, literarisch intendierte Skizzen. Enttäuscht wäre ich nur, wenn bestimmte Kernelemente wie die Architektur der Zahlen nicht übersetzt werden würde. Besonders wichtig ist uns die Sieben, die unter Theologen gern auf zehn hochgezählt wird.

Vor einem Jahr haben Sie zum 200. Geburtstag der Musikalischen Akademie einen „Bayerisch-Babylonischen Marsch“ geschrieben. Ist er Teil der Oper?
WIDMANN: Der Marsch war eine Liebeserklärung an das Staatsorchester und kommt arg zerrupft im dritten Bild vor. Das Orchester ist so riesenhaft wie das ganze Werk mit vierfacher Holz- und Blechbläserbesetzung, viel Schlagzeug, Celesta und Akkordeon. Den Chor habe ich an einzelnen Stellen 94-stimmig aufgefächert. Meine Musik ist extrem, aber beim Schreiben hatte ich immer die Besetzung, den Chor und das Orchester der Staatsoper im Ohr, dem ich mich sehr verbunden fühle.

Was haben Sie beim Schreiben über die Oper gelernt?
SLOTERDIJK: Oper ist etwa Turbulentes, eine Pathosform und kein vertonter „Tatort“ - das scheint mir das Problem vieler Opern des 20. Jahrhunderts zu sein. Wir gehen in eine neo-wagneriansische Richtung und erzählen eine Geschichte mit Archetypen. Ich habe ein klingendes Libretto geschrieben, in gebundener Sprache und in einem heute unüblich hohen Ton, der eine Eigenschwingung besitzt.

Auch am 31.10., 3.11., 6 und 10.11. um 19 Uhr im Nationaltheater

 

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