Peter Ruzicka über das letzte Festival unter seiner Leitung
Heute beginnt die 14. Münchener Biennale für neues Musiktheater. Es ist die letzte Ausgabe unter der Leitung von Peter Ruzicka, der das Festival 1996 vom Gründer Hans Werner Henze übernahm. Fünf Auftragswerke kommen zur Uraufführung.
AZ: Herr Ruzicka, was muss passieren, damit Sie als Ehren-Hanseat „Außer Kontrolle“ geraten, wie das Motto der Biennale lautet?
PETER RUZICKA: Solche Leitgedanken sind nicht wortwörtlich zu verstehen. Aber sie ziehen eine Quersumme des Programms. Denken Sie an Marco Nikodijevics Kammeroper „Vivier“, mit der wir heute Abend in der Muffathalle eröffnen. Das Stück handelt vom Exzessivsten, das vorstellbar ist: vom Mord an dem Komponisten Claude Vivier. Er wurde 1983 von einem Stricher erstochen und hinterließ auf seinem Schreibtisch eine Kantate, die mit exakt dem gleichen Vorfall abbricht.
Auch die Gegenwart ist aus den Fugen. Kann Musiktheater darauf reagieren?
Wir leben in einer hochbrisanten Situation – denken Sie nur an die Ukraine. Leider kann die Oper wegen der längeren Produktionsvorläufe im Unterschied zum Sprechtheater nicht so rasch reagieren. Wir müssen einen längeren Atem haben. Aber das Musiktheater kann und sollte Gegenbilder entwerfen, die in das gesellschaftliche Bewusstsein einstrahlen.
Können Komponisten heute noch Geschichten wie Puccinis „Tosca“ erzählen?
Hans Werner Henze selbst hat aus eigener Erfahrung die Literaturoper bevorzugt. Für ihn musste das vertonte Libretto als literarisch autonomer Text für sich stehen. Ich habe eher zu Grenzüberschreitungen ermutigt. Wir haben interaktive Formen und sogar eine Internet-Oper erprobt. In dieser Kreativwerkstatt ist viel Bedeutendes entstanden, zuweilen war aber auch der Weg wichtiger als das Ziel.
Für mich bleibt die Oper „Gramma“ von José María Sánchez-Verdú der stärkste Eindruck der letzten Biennalen – ein Werk ohne Handlung.
Auch ich halte das für ein wichtiges Werk. Dennoch: Die Komponisten kehren immer wieder zu Figuren und Geschichten vom Menschen zurück – selbst in experimentellen Formen.
Warum haben Sie Detlev Glanert einen Auftrag erteilt? Er ist weder jung, noch komponiert er experimentell.
Hier schließt sich ein Kreis. Glanert war der Erste, der 1988 von Henze mit einer Kammeroper beauftragt wurde. Sein neues Werk, „Die Befristeten“ nach Elias Canetti, wird erst bei den Proben entstehen. Ich halte das für eine spannende neue Form, mit der Glanert zeigt, dass er nicht stehen geblieben ist.
Zwei weitere Werke reiferer Herren stehen auf dem Programm.
Die „Utopien“ des 84-jährigen Dieter Schnebel werden eine Art „Summum opus“. Und mit „Sommertag“ kommt Nikolaus Brass, ein wichtiger Münchner Komponist, zu einem späten Debüt.
Wie wählen Sie die Komponisten aus?
Ich beschäftige mich zunächst intensiv mit ihren Vokalwerken und versuche herauszufinden, ob da etwas ist, das zur Bühne drängt. Dann folgt das gemeinsame Einkreisen eines Stoffs, die Findung eines Textautors und des Regieteams. Das ist ein Prozess von Geben und Nehmen, bei dem gerade auch Umwege spannend sein können.
Scheiden Sie im Groll?
Im Gegenteil! Im Stadtrat bestand stets ein überparteilicher Konsens, dass München diese Biennale braucht. Ich musste aus finanziellen Gründen zunehmend auch Koproduktionen mit anderen Theatern herausbringen. Aber das hat durchaus sein Gutes: Die Uraufführungen werden im Anschluss anderswo weiter gespielt. Die Hälfte der in meiner Zeit uraufgeführten Werke hatte ein Fortleben, manche sind um die Welt gegangen wie Duns „Marco Polo“ oder „Shadowtime“ von Brian Ferneyhough.
Blieb ein Wunsch offen?
Die zweite Oper von Helmut Lachenmann. Er hat sie mir nach der Uraufführung des „Mädchens mit den Schwefelhölzchen“ versprochen. Aber Lachenmann hat sich stattdessen an einem Konzert für acht Hörner festgeschrieben, das ebenfalls noch nicht fertig ist. Aber Adalbert Stifters „Nachsommer“ schwelt in ihm – er ist von diesem Buch begeistert und distanziert zugleich. Ich fände es toll, wenn meine Nachfolger Daniel Ott und Manos Tsangaris die Oper doch noch herausbringen könnten.
Zu Peter Ruzickas Abschied erscheint ein 160-seitiges Sonderheft der Zeitschrift „Die Deutsche Bühne“ mit dem Titel „Die Münchener Biennale 1988-2014“ mit zahlreichen Textbeiträgen und Interviews. Es kostet 19.90 Euro. Infos zu Terminen und Karten unter www.muenchenerbiennale.de und Telefon 54 81 81 81