Pavol Breslik singt Janácek

Die kleine Bühne steht selbst auf einer Bühne. Auf ihr befinden sich nur ein Tisch und der Flügel, beide mit ein bisschen Grünzeug dekoriert. Doch was für einen Hintergrund hat dieses improvisierte Podium, auf dem der Liederzyklus „Tagebuch eines Verschollenen“ von Leos Janácek aufgeführt wird!
Der gesamte leere Zuschauerraum der Bayerischen Staatsoper öffnet sich hinter dem Tenor Pavol Breslik und dem Pianisten Róbert Pechanec – prächtig und in seiner Verlassenheit melancholisch wie ein Bergpanorama. Wer eine solche Aussicht hat, braucht kein Bühnenbild. Die Regisseurin Friederike Blum weiß sie aber auch zu nutzen.
Im Ganzen zeichnet ihre Inszenierung die Handlung des „Tagebuchs“, das hier seltenerweise in der vollständigen Fassung mit zusätzlichen Frauenstimmen gegeben wird, angenehm unprätentiös nach: Ein gut gestellter Bauernsohn hat sich in eine Zigeunerin verliebt. Erst nachdem er mit ihr durchgebrannt ist, werden in seiner Kammer kleine Gedichte gefunden, die seine Flucht erklären.
Quälender Entscheidungsprozess
Das Grübeln, das in diesen radikalen Schritt mündet, führt Pavol Breslik mit einfachen, aber sprechenden Gesten vor. Er zerrupft das Blumengebinde, offenbar ein Symbol für die bereits geplante Hochzeit mit dem standesgemäßen, aber ungeliebten Mädchen, verbindet sich mit einem Tischtuch die Augen, wickelt sich darin ein, wie um sich zu verstecken. Keinen Schutz hat er von der Klavierbegleitung zu erwarten, die sein Hin- und Herüberlegen nur dokumentiert. Mit seinem rhythmisch insistierenden Spiel spitzt Róbert Pechanec diese Unruhe noch beträchtlich zu.
Noch anschaulicher als mit seinen Gesten vollzieht Breslik den quälenden Entscheidungsprozess gesanglich nach. Beginnend mit flüchtigen, atemlosen Phrasen, in denen die nicht allzu ausladende, natürlich gefärbte Stimme noch nicht voll resoniert, lässt er langsam, aber sicher den Druck ansteigen, bis sich dieser in den ekstatisch gestemmten Finalnummern entlädt.
Nachdem er sich solchermaßen freigesungen hat, türmt Breslik über die Stuhlreihen des Hauptsaals in die Weiten des verlassenen Nationaltheaters. So führt der Weg dieser Inszenierung also von der Beengung der Bühne, auf der in Corona-Zeiten auch das Publikum postiert ist, in die Freiheit des Zuschauerraums, von dem sich wohl alle Beteiligten wünschen, dass er bald wieder bespielbar ist: die Hörer, um die gebührende Distanz zum theatralischen Geschehen zurückzuerhalten, die Spieler, damit sie die Bühne wieder für sich allein haben.