Operette "Frau Luna": Berliner Luft im dufte Mondglanz

München - Was ist der Unterschied zwischen Wien und Berlin? Vielleicht der von nostalgisch-gemütlichem Schmäh und Schmiss, was schon nach preußisch zackiger Tatkraft klingt.
Und irgendwie ist es auch mehr als symbolisch, wenn 1899, im Jahr des Todes von "Walzerkönig" Johann Strauss, der Berliner Autodidakt Paul Lincke seine Operette "Frau Luna" herausbringt - "mit "flotten Rhythmen als echtes Berliner Element", wie er nach 600 Vorstellungen im Kreuzberger Apollotheater anmerkt.
Ärger mit der Geliebten
Es geht um einen Mechaniker - heute würde man vielleicht eher Ingenieur sagen. Denn dieser Fritz Steppke hat einen "Stratosphären-Rückstoß-Ballonkreuzer" im Hinterhof seiner Spitzwegschen Mansardenwohnung gebaut.
Was ihm Ärger einbringt, weil seine Geliebte Marie ihn eher auf der Erde behalten würde: "Schlösser, die im Monde liegen / Bringen Kummer, lieber Schatz. /Um im Glück dich einzuwiegen, / Hast du auf der Erde Platz!", singt sie nach dem Libretto-Text von Heinrich Bolten-Baeckers.
Steppke will weg
Aber Steppke (Nikos Striezel als unser Sympathieträger) will weg: erstens aus neugieriger Romantik, zweitens um seinen Freund Pannecke (Philipp Gaiser) aus den Liebesnachstellungen seiner Zimmerwirtin, Frau Pusebach, zu retten.
Und drittens, um eine Weltraumtourismus-Agentur zu gründen. Und das genau 100 Jahre früher, als sich das jetzt wirklich realisiert, zum Beispiel gerade erst mit dem Amazon-Gründer Jeff Bezos.
Jazzigere Nummern wurden ergänzt
Denn an der Pasinger Fabrik kommt die Operettenversion von 1921 auf der Bühne. Da hatte Lincke seine zwanzig jahre alte "Frau Luna" noch einmal dem Zeitgeist der Goldenen Zwanziger angepasst und jazzigere Nummern ergänzt.
Dazu passt auch die musikalische Besetzung nur mit Kontrabass, Klarinette und Schlagzeug und dem musikalischen Leiter Andreas Heinzmann am Piano.
Das Incredible Milk Street Orchestra ist perfekt
Die Corona-bedingte weitere Reduktion von gewohnt rund einem Dutzend Musikern auf dieses Quartett - das Incredible Milk Street Orchestra - ist hier kein Verlust, sondern perfekt.
Regisseurin Franziska Reng hat dazu mit ihrem Bühnenbildner Peter Engel etwas überzeugend Kompaktes und Witziges geschaffen, an diesem "kleinsten Opernhaus Münchens", wo eine Operette per se ja gut aufgehoben ist.
Variétébühne unter einer blinkenden Mondsichel
Die prekäre Butze von Fritz Steppke ist ein einziger Schrank mit draufgeschraubtem Bettgestell, das auch als Fensterbrüstung herhalten muss. Im Schrank selber geht die Stiege hoch in die (Schrank-)Dachkammer mit Mondblick.
Und wenn der Schauplatz von der berliner schnauzenden Kleinbürgerwelt zur mondänen, vergnügungssüchtigen, hochdeutschen Mondgesellschaft wechselt, ist eine Variétébühne unter einer blinkenden Mondsichel aufgebaut. Hinter deren Glitzervorhang lassen sich dann noch viel witzige Requisiten hervorzaubern, wie eine psychodelische Waschmaschine.
Moderne Liebe
Natürlich geht es um Liebe, aber eben modern mit wechselnden Partnern. Und eine Erkenntnis der mondlandenden Kreuzberger ist, dass der Mann im Mond eine Frau ist: die Göttin Luna (Karolina Plicková, die stimmstärkste und -beweglichste des wunderbar singenden Ensembles).
Und die zweite Erkenntnis: Es geht aber nüscht über Balin! Und das wird mit seiner "Berliner Luft, Luft, Luft" so witzig gefeiert, dass man mitgerissen, sofort hinfahren will.
Urbaner Humor und verkappte Sentimentalität
Überhaupt gelinkt es Lincke, den Berliner Charakter von seiner angeblichen Rüpelhaftigkeit zu befreien, und das etwas Hemdsärmelige als urbanen Humor und sogar verkappte Sentimentalität zu zeigen, so wenn der Sternenpersonalschlager erklingt:
"Schenk mir doch ein kleines bisschen Liebe" - ein Duett von Stella (Andrea Jörg, die in einer Doppelrolle auch die Steppke-Verlobte Marie wunderbar frisch singt und frech-naiv spielt) und Butler Theophil (Guido Drell, der großes komödiantisches Talent entfaltet). Das hat auch Carolin Ritter als liebessüchtige Hausbesitzerin und blinde Passagierin zum Mond.
Sympathische Regieeinfälle
Die tragikomische Rolle hat Prinz Sternschnuppe (Luca Festner, mit jungenhafter Stimmschönheit) als vergeblicher Liebesanwärter bei Frau Luna, den die Regie als Mischung aus Siegfried, Heino und Frank'n'Furter zeichnet.
Hinzu kommen eine dynamische Personenregie und andere sympathische Regieeinfälle, wie Steppkes Handpuppe: das Lamen-Tier, eine Art skeptisches, aber doch liebendes Alter-Ego.
Wie es also witzig kalauert, liebevoll berlinert und sich schwungvoll ins Ohr wurmt: Dit is Spitze! (Auch wenn die Abstandsregeln kein Massenschunkeln ermöglichen.) Und bei mancher psychologischen Mann-Frau-Analyse ist die janze Chose auch noch geistreich.
Noch vom 24. bis 27. Juni, jeweils 19.30 Uhr, Wagenhalle der Pasinger Fabrik (mit Pausenbewirtung). Weitere Termine im Juli und August; Open Air in der Blutenburg vom 22. bis 27. Juli. Karten (25 bis 50 Euro: www.pasinger-fabrik.de - www.muenchenticket.de, 089/5481811