Opera incognita zeigt "Dido" und "The Rape of Lucretia"
Irgendwo heißt es im Text von Henry Purcells „Dido and Aeneas“, die karthagische Königin würde gerne in einer Quelle baden. Und Tarquinius schwimmt auf seiner von böser Lust getriebenen Reise in Benjamin Brittens Oper „The Rape of Lucretia“ durch den Tiber.
Beides wäre allein noch kein Grund, die beiden Werke in der Damenschwimmhalle des Müllerschen Volksbads aufzuführen. Aber es spricht viel dafür: Die auf antike Thermen anspielende Jugendstil-Architektur passt gut zu den römischen Stoffen. Brittens Kammeroper aus dem Jahr 1946 bezieht sich immer wieder auf den barocken Vorläufer. Und die hallige Kirchenakustik führt zwar zu einem Verlust an Trennschärfe, sie unterstreicht aber die lapidare Feierlichkeit beider Werke und stört bei der mehrheitlich langsamen Musik weniger.
Im Wasser wartet die Wahrheit
Der Regisseur Andreas Wiedermann hat mit dem Chor und dem Orchester seiner freien Truppe Opera Incognita beide Werke geschickt verschränkt: Er beginnt mit Brittens Prolog. Dann wird im Haus des Collatinus „Dido and Aeneas“ als Theater auf dem Theater gespielt, mit der Hausherrin Lucretia als karthagischer Königin. Das liefert eine zusätzliche psychologische Begründung für die Gelüste des Sextus Tarquinius.
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Der Chor schreitet anfangs gemessenen Schritts ins Becken. Später hüpfen alle auf einen Schlag ins Wasser. Der stilisierte erste Teil bildet die Kontrast-Vorlage für die zweite Hälfte. Für die wilde Musik des Ritts nach Rom findet Wiedermann die dem Ort angemessene szenische Entsprechung: Da springt der Chor nacheinander einzeln ins Wasser, was nicht nur ziemlich spritzt, sondern auch eine dramatische Zuspitzung ausdrückt. Zwischendurch werden als Vorausdeutung des Finales schon einmal einzelne Damen von Herren-Gruppen gewaltsam untergetaucht, ehe sich die Vergewaltigung der Lucretia als wilder Kampf im Wasser abspielt.
Wiedermann und der Dirigent Ernst Bartmann haben für diese Aufführung ihrer Truppe Opera Incognita exzellente Sängerinnen und Sänger zusammengebracht. Die Mezzosopranistin Frauke Mayer erweckt Stolz, Einsamkeit und Verletzlichkeit der beiden weiblichen Hauptfiguren zum Leben. Jorge Jimènez singt mit klarem, hellem und kultiviertem Tenor den Male Chorus. Carolin Ritter spielt den Female Chorus mit einer leicht tantenhaften Beflissenheit, die als ironische Brechung der Feierlichkeit zu begrüßen ist. Und mit dem in vielen Produktionen von Opera Incognita bewährten Torsten Pesch hat die Aufführung einen sensibel-brutalen Tarquinus, wie er besser kaum vorstellbar ist.
Jenseits der Wohlfühlschwelle
Vor ihrem Selbstmord singt Lucretia noch das Finale aus Purcells Oper. Dann gießt Britten noch eine schwer genießbare christliche Erlösungssoße über den Tod der Lucretia und die Gründung der römischen Republik. Wiedermann drückt sich da nicht herum: Die weiß gekleideten Menschen im Wasser sehen plötzlich aus, als stünde eine Massentaufe der Zeugen Jehovas bevor, die dafür Schwimmbäder nicht verschmähen. Dann erscheint Jesus persönlich, wirft sein Kreuz ins Becken und wandelt über das Wasser der Damenschwimmhalle.
Das bleibt geschmacklich ein wenig grenzwertig. Aber es ist richtig, der Glaubensgewissheit von Brittens Musik eine Szene entgegenzusetzen, bei der dem Zuschauer jenseits des Wohlfühl-Sommertheaters ein wenig mulmig wird. Es ist eine Schlusspointe, die nur im Müllerschen Volksbad möglich ist. Und weil die Produktionen einer privaten Truppe wie Opera Incognita finanziell immer riskant bleiben, sei’s an dieser Stelle ausdrücklich formuliert: Die traditionelle Aufführung einer seltener gespielten Oper durch Wiedermann und Bartmann an einen ungewöhnlichen Ort im Spätsommer ist eine wichtige Farbe im Musik- und Theaterleben dieser Stadt. Und das möge auch so bleiben.
Weitere Vorstellungen am 6., 7., 8., 13., 14. und 15. September im Müllerschen Volksbad, Rosenheimer Straße 1. Karten von 22 (Stehplatz) bis 67 Euro bei www.muenchenticket.de und unter Telefon 54 81 81 81
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