Oper mit Kontext: Tschaikowskys "Mazeppa" in der Uni
Von Peter dem Großen dürfte jeder halbwegs historisch Interessierte schon gehört haben. Aber wer kennt die Schlacht bei Poltawa, in der er seinen Hauptgegner, den Schwedenkönig Karl XII., besiegte?
Die beiden Herrscher handeln in Peter Tschaikowskys "Mazeppa" zwar nur hinter der Bühne. Aber gerade das macht die Oper für Nicht-Russen und Nicht-Ukrainer schwer verständlich. Denn der Große Nordische Krieg (1700 - 1721), der die schwedische Vorherrschaft im Ostseeraum und eine weitgehende Autonomie der Ukraine beseitigte, ist nicht unbedingt Teil der historischen Allgemeinbildung.
Vom Lichthof ins Audimax
Andreas Wiedermann, der mit seiner freien Truppe Opera Incognita jedes Jahr Anfang September ein unbekanntes Werk an einem ungewöhnlichen Spielort aufführt, hat in seiner Inszenierung von Tschaikowskys Oper für den nötigen Kontext gesorgt. Die erste Szene, in der Maria ihren Liebhaber Andrej abweist, spielt im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität, dessen Kathedralenakustik für solistischen Gesang denkbar ungeeignet ist.
Dann führt der Chor die Besucher ins dahinterliegende Auditorium Maximum, wo ein stumm bleibender Dozent (Helmut Bayerer) zur nachgeholten Ouvertüre eine Vorlesung zur ukrainisch-russischen Geschichte abhält.
Der Hopak, das bekannteste Stück dieser Oper, bleibt ungetanzt. Dazu liefert der Dozent per Text-Präsentation kulturhistorische Hintergründe. Bald stehen die wichtigsten historischen Daten an der Tafel, und der Zuschauer weiß das Nötigste über die Titelfigur der Oper, der den Ukrainern als Freiheitsheld gilt und den Russen als Verräter, weil er sich im Großen Nordischen Krieg auf die schwedische Seite schlug.

Das konfuse Textbuch von Tschaikowskys Oper nimmt - zusammen mit dem zugrundeliegenden Poem von Alexander Puschkin - natürlich eine zarentreue Perspektive ein. Mazeppa, ein alter, tyrannischer Lustmolch, heiratet seine Patentochter Maria gegen den Widerstand ihres Vaters Kotschubej, an dem er sich durch eine fiese Intrige rächt und dessen Vermögen er durch Folter an sich bringen will.
Etwas zu knappe Musik
Die gewalttätige, psychologisch holzschnittartige Handlung sorgt für extreme Tschaikowsky-Emotionen, obwohl die Oper immer dann ziemlich unbefriedigend abbricht, wenn nach italienischem oder deutschem Muster ein Ensemble oder eine große Szene fällig wären. Doch die symphonischen Effekte überdecken die dramaturgischen Löcher einigermaßen. Der starken Wirkung tut es keinen Abbruch, dass das Orchester vom Dirigenten Ernst Bartmann auf ein 12-köpfiges Ensemble reduziert wurde, das exakt zur Akustik des Audimax passt.
Im dortigen Waschbecken säubert sich Mazeppa nach der nur in brutalen Andeutungen inszenierten Folter die Hände. Torsten Pesch verkörpert die Titelpartie mit Kosakenmütze und einem kraft-kernigen Bariton absolut rollendeckend. Der Bassist Robson Bueno Tavares ist ein exzellenter Kotschubej mit heldischen Härten. Karo Khachatryan holt mit blitzendem Tenor-Metall alles aus der undankbaren Rolle des Andrej heraus, Ekatarina Isachenko vermochte als im Wahnsinn endende Maria soweit zu berühren, als es Tschaikowkys immer etwas zu knappe Musik zulässt.

Der anfangs westlich orientierte Dozent wird zwischenzeitlich von grauen Herren auf Linie gebracht. Bei der Schlachtmusik, in der die Zarenhymne des 19. Jahrhunderts zitiert wird, lehrt er gezwungenermaßen die imperiale Mission des postsowjetischen Russlands in Originalzitaten antiliberal neurechter Ideologen aus dem Umfeld des gegenwärtigen russischen Regimes. Dann bricht er am Pult zusammen.
In jedem anderen Rahmen würde das aufgesetzt und didaktisch wirken. Im Audimax funktioniert der Hinweis, dass jede Erzählung russischer Geschichte auf der Opernbühne des 19. Jahrhunderts als Staatskunst nationalistisch durchdrungen ist. Davon blieb auch der in seiner Musik weltoffen denkende Tschaikowsky nicht unberührt. Und es ist illusorisch zu denken, dass Kunst grundsätzlich politisch unschuldig oder gar widerständig wäre.
Dass am Ende der Dozent ausgerechnet im Lichthof Flugblätter fallen lässt, ist angesichts des vielfältigen Missbrauchs der Geschwister Scholl für Alles und Jedes vielleicht etwas zu viel des Guten. Als Denkanstoß mag es angehen. Und so ist diese Aufführung einer dramaturgisch und politisch schwierigen Oper durch diese freie Gruppe in vieler Hinsicht aufschlussreicher und anregender als manche zuletzt unkritisch dem ewigen Russland huldigende Festspiel-Großproduktion.
Wieder am 6., 7., 13. und 14. September um 19.30 Uhr in der Uni (Eingang Geschwister-Scholl-Platz 1, Karten bei Münchenticket und an der Abendkasse)
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