Oper "Bluthaus" im Münchner Cuvilliéstheater: Der beste "Tatort" aus Österreich

München - Ein Dorf, nicht weit von Wien in Niederösterreich: Eine junge Frau will ihr Elternhaus verkaufen. Es handelt sich offenbar um ein sehr schönes Gebäude mit viel Grund in optimaler Lage. Eine Reihe von Interessenten will zugreifen. Dann plaudern die ziemlich bösartigen Nachbarn, dass in dem Haus ein Mord geschehen ist und verpatzen das Geschäft.
Es funktioniert mal: Alltags-Realismus wird in Musiktheater verwandelt
Das könnte ein Wiener "Tatort" sein, obwohl kein Wort im Dialekt gehalten ist. Es handelt sich aber um die Handlung der Oper "Bluthaus" von Georg Friedrich Haas (Musik) und Händl Klaus (Text).

Den beiden Österreichern ist in diesem vor elf Jahren in Schwetzingen uraufgeführten Werk etwas gelungen, was fast nie funktioniert: Alltags-Realismus in Musiktheater zu verwandeln.
"Bluthaus" verknüpft realistische, fantastische und groteske Elemente miteinander
Bei "Bluthaus" glückt das, weil die Oper realistische, fantastische und groteske Elemente miteinander verbindet. Die toten Eltern sind als Geister gegenwärtig. Bo Skovhus singt den Vater mit einer fahlen Stimme, die so grau ist wie sein Bademantel. Er ist übermächtig gefährlich und lüstern-abstoßend, wenn er bei der Vergewaltigung seiner Tochter ein Rezept zum Einkochen von Quitten vorträgt.
Es ist eine Stärke dieser Oper, dass das Grausige zwar unmissverständlich, aber nur angedeutet bleibt. Die Inszenierung von Claus Guth verstärkt beides mit Hilfe von Video-Projektionen und leicht stilisierten Kostümen. Der Wasserspender am Bühnenrand stößt einen geradezu mit der Nase drauf, dass sonst auf realistische Requisiten verzichtet wird.
Die nie zur Karikatur überzeichneten Figuren der realistischen Ebene unterstreichen die grenzenlose Verzweiflung der missbrauchten Tochter, die sich durch einen Schlussstrich von ihrer Vergangenheit befreien möchte. Sie und ihre Eltern singen, die meisten anderen Figuren sind bloße Sprachmasken, die als potenzielle Käufer die freundliche Immobilienprosa des Maklers wiederholen.
Haas hat das Sprechen streng stilisiert. Es muss für das Ensemble des Residenztheaters extrem anstrengend gewesen sein, die raschen Wortwechsel musikalisch einzustudieren. Aber der so entstehende Plapper-Mechanismus kontrastiert auf eine kalt-nüchterne Weise mit dem hochexpressiven, eine Puccini-Oper streifenden Gesang des leidenden und am Ende zusammenbrechenden Opfers.
Die Musik leuchtet herbschön aus dem Orchestergraben des Cuvilliéstheaters
Es ist eine Stärke dieser Oper, dass Realismus und Phantastik nicht streng geschieden sind: Der Makler ist eine komplexe Partie für einen Countertenor (Hagen Matzeit). Einen der Kunden begleiten drei in ihrer Wohlerzogenheit entsetzlich nervtötende Buben, die von Tölzer Knaben mit gewohnter Erstklassigkeit gesungen und verkörpert werden.

Dass Haas komplexe Intervalle nutzt, sollte den Opern-Normalverbraucher keineswegs abschrecken: Die Musik leuchtet herbschön aus dem Orchestergraben des Cuvilliéstheaters. Und weil man nicht nur die Schauspieler, sondern auch die Sänger bestens versteht, bleibt "Bluthaus" trotz einer avancierten Tonsprache für jeden gutwilligen Besucher unmittelbar zugänglich.
Guths fixe Idee funktioniert: Auch diese Oper wird zu einer bürgerlichen Vater-Tochter-Geschichte
Die Aufführung hilft dem Publikum mit Musik von Claudio Monteverdi auch hinein und wieder heraus, die Titus Engel so versiert dirigiert wie die Tonsprache von Haas. Der musikalische wie szenische Rahmen ist ein Verhörzimmer bei der Polizei, in dem Nadja (Vera Lotte Böcker) die Geschichte als Alptraum noch einmal erlebt.

Dem Regisseur Claus Guth hat man Abbitte zu leisten: Seine fixe Idee, jede Oper in eine bürgerliche Vater-Tochter-Geschichte zu verwandeln, passt hier wirklich. Für diese psychologische Konstellation ist er der feinfühlendste Experte. Am Ende, zu Monteverdis bittersüßem "Lamento della ninfa" deutet die Inszenierung an, dass Nadja ihren Vater trotz des Missbrauchs womöglich sogar geliebt haben könnte. Das ist so irritierend, vermeidet aber gegen die schöne Musik jeden Anflug von Harmonie.
Die Intendanz von Serge Dorny hat im Herbst mit der "Nase" gut begonnen. Was danach kam, war nie schlecht, aber vielleicht nicht ganz so überraschend. "Bluthaus" ist ein vorläufiger Höhepunkt: eine Aufführung, die den Zuschauer fordert und Extreme auslotet, aber auch emotional anspricht, was neue Opern selten schaffen.
Richtig ist auch, ein schon länger vorliegendes, allgemein hochgelobtes Werk in einer exemplarischen, bis zur letzten Nebenrolle exzellent besetzten und in jeder Hinsicht hervorragend einstudierten Produktion zu zeigen. Denn "Bluthaus" könnte es - bei aller Schwierigkeit für die Ausführenden - ins Repertoire schaffen. Man muss nur oft genug zeigen, wie gelungen diese Oper ist.
Wieder am 25., 26., 28. und 29. Mai im Cuvilliéstheater. Karten unter staatsoper.de, Telefon 2185 1920